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Politik: „Jetzt gelten andere Preise“

Peter Harry Carstensen über das Ende der Ära Simonis und seine Bedingungen für eine große Koalition in Kiel

Herr Carstensen, Sie werden wahrscheinlich Ministerpräsident, weil ein SPDAbgeordneter Heide Simonis im Landtag die Stimme verweigert hat. Hatte die CDU Einfluss auf dieses Abstimmungsverhalten?

Nein. Wir haben nichts unternommen, um SPD-Abgeordnete zu beeinflussen. Wer auch immer in der SPD-Fraktion ausgeschert ist – er stand nicht mit uns im Kontakt.

Es soll vor dem Kieler Abstimmungskrimi aber eine Liste der CDU mit den Namen potenzieller SPD-Abweichler gegeben haben.

Quatsch, eine solche Liste gab es nie.

Auch keine Abwerbungsversuche?

Nein. Wir haben keine Gespräche geführt mit dem Ziel, Abweichler zu finden. Das ist nicht mein Stil, das hätte ich nie gemacht.

Dennoch verlautetet aus Ihrer Partei nach der Landtagswahl am 20. Februar, nun werde mit möglichen Sympathisanten einer großen Koalition gesprochen.

Ich habe keine Gespräche geführt und auch keine veranlasst. Für die CDU gilt: Wir überreden keine Abgeordneten, wir kaufen keine Abgeordneten, wir üben keinen Druck auf Abgeordnete aus. Wer so etwas behauptet, will von eigenen Problemen ablenken.

Wüssten Sie es, wenn Ihre Partei versucht hätte, einen SPD-Abgeordneten zu gewinnen?

Davon gehe ich aus.

Aber Sie können es nicht definitiv ausschließen?

Ich schließe nicht aus, dass Kollegen miteinander gesprochen haben, die seit Jahren nebeneinander im Parlament sitzen. Das ist ja auch völlig normal. Aber es hat keine gesteuerten Gespräche, keine gezielten Maßnahmen oder Abwerbungsversuche gegeben.

Welches Motiv mag den oder die Unbekannte geleitet haben?

Das weiß ich nicht. Darüber spekuliere ich auch nicht. Wenn ich den Unbekannten kennen würde, könnte ich mich vielleicht zu den Motiven äußern. Es mag Verdruss, Verärgerung oder auch persönlicher Ehrgeiz gewesen sein.

Spielen Sie damit auf SPD-Finanzminister Ralf Stegner an, dem seit langem Ambitionen nachgesagt werden, Simonis zu beerben?

In die Diskussionen bei der SPD mische ich mich nicht ein.

Müssen Sie als möglicher Regierungschef nicht befürchten, dass das Wahldebakel für die SPD im Landtag dem Ansehen Schleswig-Holsteins insgesamt geschadet hat?

Es hat dem Ansehen Schleswig-Holsteins geschadet, dass der Wählerwille nach dem 20. Februar verfälscht werden sollte. Rot-Grün wurde abgewählt, aber dennoch hat man versucht, mit Hilfe des SSW eine Mehrheit zu konstruieren. In Wahrheit ist die Ära Simonis nicht am vergangenen Donnerstag zu Ende gegangen, sondern mit ihrer Wahlniederlage vor vier Wochen. Dennoch hat kein Mensch einen solchen Abgang verdient. Heide Simonis war Deutschlands einzige

Ministerpräsidentin. Damit hat sie auch ein Zeichen gesetzt für Frauen in politischen Führungspositionen. Sie hat für dieses Land gearbeitet. Es war entwürdigend, sie in einen vierten Wahlgang zu schicken. Dazu hätte sie sich nicht breitschlagen lassen dürfen. Mit mir hätte man das nicht machen können.

Kommende Woche sollen die Sondierungsgespräche über eine große Koalition beginnen. Wären Neuwahlen nicht die klarere Lösung?

Wir können doch nicht so lange wählen lassen, bis uns das Ergebnis passt. Der Wähler hat am 20. Februar entschieden. Bevor man über Neuwahlen überhaupt nachdenkt, muss man sich ernsthaft und aufrichtig um den Auftrag kümmern, den

die Wähler am Wahltag gegeben haben, nämlich eine von der CDU geführte große Koalition in Schleswig-Holstein zu bilden. Das ist sicher keine leichte Aufgabe. Aber damit müssen wir als Politiker fertig werden, denn dafür sind wir als

Dienstleister der Wähler ja da.

Zwei Drittel aller Wähler in Schleswig-Holstein stehen einer großen Koalition aber skeptisch gegenüber und wünschen sich Neuwahlen.

Ich kann das verstehen. Viele haben die Sorge, dass CDU und SPD sich nicht zusammenraufen können. Vielleicht befürchten manche auch, dass die beschädigte SPD kein verlässlicher Partner ist.

Sie teilen diese Sorge nicht?

Die SPD ist eine große, traditionsreiche Partei. Natürlich kann sie ein zuverlässiger Partner sein. Dass eine große Koalition keine Liebesheirat ist, versteht sich von selbst. Dennoch gilt: Gewählt ist gewählt.

Was sollte das Motto dieser Koalition sein? Vorfahrt für Arbeit?

Was der Bundespräsident für Deutschland formuliert hat, gilt für Schleswig-Holstein in besonderem Maße. Das Land ist hoch verschuldet und hat die höchste Arbeitslosigkeit aller westdeutschen Flächenländer. Deshalb muss sich die künftige Regierung auf das Wesentliche konzentrieren – den Wirtschaftsstandort fördern, die Bildungsreserven mobilisieren. Es geht jetzt um die Zukunftsfähigkeit des Landes. Alles andere ist nachrangig.

Die SPD geht sehr widerwillig in dieses Bündnis. Wie wollen Sie verhindern, dass sich beide Parteien in den kommenden Jahren gegenseitig blockieren?

Die Weichen werden im Koalitionsvertrag gestellt. Ich bin zuversichtlich, dass wir uns einig werden. Die SPD ist sicher zu vernünftiger Zusammenarbeit bereit. Es gibt ja auch keine Alternative. An Neuwahlen kann die SPD jedenfalls kein Interesse haben, denn dann dürfte sie in der Opposition landen.

Ist Ihre Wahl zum Ministerpräsidenten Bedingung für eine große Koalition?

Ja, denn ich habe mich im Wahlkampf um das Amt beworben und habe deshalb eine Verpflichtung gegenüber meinen Wählern.

Haben die Wähler auch einen Anspruch darauf, dass der neue Regierungschef schnell gewählt wird, also nicht erst am 27. April, wie bisher geplant?

Es wäre gut, wenn es schneller ginge. Wir müssen aber nichts übers Knie

brechen.

Ihr Parteifreund Christian Wulff aus Niedersachsen meint, es sei unerträglich und unzumutbar, so lange zu warten.

Die SPD muss jetzt erst einmal mit den Ereignissen fertig werden. Das ist schwierig, und ich bin der Letzte, der auf jemandem herumtrampelt, der am Boden liegt. Das ist nicht meine Art. Mir geht es darum, dass CDU und SPD in Zukunft vertrauensvoll und auf gleicher Augenhöhe zusammenarbeiten können.

Nach der Landtagswahl hatte die CDU den Sozialdemokraten Zugeständnisse in der Bildungspolitik angeboten. Lassen Sie über die Einführung einer Gemeinschaftsschule, bei der die Kinder erst nach der neunten oder zehnten Klasse getrennt werden, weiterhin mit sich reden?

Damals waren wir in einer völlig anderen Situation. Jetzt gelten andere Preise.

Also kommt die Gemeinschaftsschule nicht in Frage?

Dazu werde ich in den Koalitionsgesprächen das Nötige sagen.

Ministerpräsidenten der Union sehen nach dem Aus für Rot-Grün in Kiel auch das Ende der Regierung Schröder nahen. Kommt der Jubel nicht ein bisschen zu früh?

Rot-Grün in Schleswig-Holstein hat die Quittung bekommen für Rekordarbeitslosigkeit und Rekordverschuldung. So wird es auch Rot-Grün im Bund ergehen.

Unter Rot-Grün ist die Arbeitslosigkeit gestiegen, die Verschuldung gestiegen und die Armut gestiegen. Das zählt für die Wähler.

Was hindert die Union in dieser Situation eigentlich daran, Angela Merkel schnell zur Kanzlerkandidatin zu machen?

Es gibt zurzeit noch keinen Anlass, über die Frage der Kanzlerkandidatur entscheiden zu müssen. Aber wenn die Situation gekommen ist, werden wir schnell entscheiden.

Das Gespräch führte Stephan Haselberger. Das Foto machte Insa Korth.

BODENSTÄNDIG

1947 auf Nordstrand (Nordfriesland) geboren, studiert Carstensen Agrarwissenschaften, wird Landwirtschaftslehrer und Berater bei der Landwirtschaftskammer. Noch heute wohnt er in Elisabeth-Sophien-Koog auf Nordstrand.

ROUTINIERT

Nach heftigen Querelen in der Landes-CDU wird der fröhliche, routinierte Mann im Juni 2002 zum Landeschef gewählt. Von ihm erhofft man sich Geschlossenheit.

ROBUST

Als Agrarexperte wird er im Juli 2002 in das Kompetenzteam von Kanzlerkandidat Stoiber geholt. Am 20. Februar wird er als Spitzenmann der CDU Wahlsieger in Schleswig-Holstein.

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