zum Hauptinhalt

Politik: Judenmord. NS-Politik, Zwangsarbeit und das Verhalten der Täter: Normale Männer ohne Moral

Im Zusammenhang mit der Judenvernichtung sind Fragen zur NS-Siedlungspolitik bisher selten berücksichtigt worden. Inzwischen aber hat sich in der Holocaust-Forschung ein Paradigmenwechsel vollzogen, betont der Historiker Christopher Browning zu Beginn seines Buches "Judenmord".

Im Zusammenhang mit der Judenvernichtung sind Fragen zur NS-Siedlungspolitik bisher selten berücksichtigt worden. Inzwischen aber hat sich in der Holocaust-Forschung ein Paradigmenwechsel vollzogen, betont der Historiker Christopher Browning zu Beginn seines Buches "Judenmord".

Mit der Besetzung Polens im Herbst 1939 kristallisierten sich drei Ziele heraus: Die "Säuberung" des Reiches von allen Juden, die Vertreibung der Polen aus den annektierten Gebieten und die "Heimführung" der Auslandsdeutschen. Die Politik der "ethnischen Säuberungen" geriet jedoch bald ins Stocken. Gleichzeitig sahen sich die deutschen Besatzer mit Problemen konfrontiert, die ihre Bereitschaft zu immer brutaleren Lösungen steigerten - betroffen waren davon vor allem die Juden. So waren die Massaker in Galizien im Herbst 1941 eine mörderische Antwort auf eine extreme Wohnungsnot, die durch eine Ghettoisierungs-Verordnung verursacht worden war.

Ausführlich widmet sich der Autor der Frage, wann die Politik der Vertreibung und Dezimierung der Juden in eine systematische Vernichtung umschlug. Die These: Im Juli 1941 wurden Heydrich und Himmler von Hitler angeregt, eine "Machbarkeitsstudie" für die Ausrottung der Juden anzufertigen. Anfang Oktober signalisierte Hitler seine Zustimmung zu dem Vorschlag, alle europäischen Juden in Vernichtungslager zu verschleppen, um sie dort zu ermorden. Erheblichen Einfluss auf diese Entwicklung, meint Browning, hatte die Siegesstimmung an der Ostfront, die im Juli und im Oktober 1941 ihren Höhepunkt erreichte.

Warum hatte das Scheitern der wahnwitzigen Umsiedlungspläne gerade für die Juden so schreckliche Folgen? Diese Frage drängt sich auch deshalb auf, weil die Täter an Ort und Stelle in ihrer Mehrzahl anscheinend keine radikalen Antisemiten waren. Zu dieser Einschätzung gelangt jedenfalls der Verfasser im Schlusskapitel. Darin befasst er sich mit Reservepolizisten, die Massenerschießungen durchführten. Bereits 1992 gaben diese "Ganz normalen Männer" einer vielbeachteten Studie Brownings den Titel. Nun findet er neue Belege dafür, dass diese Männer durch ihr Auftreten als Vertreter einer "Herrenrasse" in den feindlichen Gebieten jeden Maßstab für ein moralisches Handeln verloren.

Boris Peter

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false