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Nicht aufgeben: Für Freitag ist in Kairo eine neue Großdemonstration geplant.

© Reuters

Junge Demonstranten in Kairo: "Wir hören nicht auf"

Knüppel, Prügel, Schläge. Trotzdem wollen sich die jungen Demonstranten in Kairo nicht einschüchtern lassen – und mobilisieren. Online und im echten Leben.

Leise spricht Philip Rizk ins Telefon, er klingt gehetzt. Er steht im elften Stock eines Kairoer Hochhauses, normalerweise arbeiten Fernsehsender darin und Produktionsteams. Es ist 14 Uhr Ortszeit, mit einem Dutzend anderer Demonstranten hat er sich in das Haus gerettet, in ein Großraumbüro. Sie sind davongerannt vor den Anhängern Mubaraks oder jenen, die im Auftrag des Regimes Jagd auf dessen Gegner machen. „Hunderte“, sagt er. Sie nahmen die Treppen, er und seine Leute den Aufzug – der war schneller.

Rizk flüstert fast, als er sagt: „Wir wissen nicht, wann sie die Türen aufbrechen.“ Er weiß, dass diese Menschen schon andere halb tot geschlagen haben in den vergangenen Tagen. Die Armee, erzählt der junge Mann, stehe da und tue nichts. Nichts, um die Eingeschlossenen zu schützen. Nichts, um die wütenden Massen zu stoppen. „Berichten Sie das“, sagt er. „Berichten Sie das.“

Es ist der zehnte Tag der Unruhen in Kairo, die umschlugen in blutige Straßenschlachten. Und Philip Rizk, Ende 20, Deutsch-Ägypter, Blogger, ist unter den Demonstranten schon seit Tagen.

Während Rizk im Großraumbüro steht, mit nichts, um sich zu verteidigen, sitzt an ihrem Schreibtisch in Kairo Dina M. Sie verschickt Einladungen per E-Mail – für eine große Demonstration am Freitag. Ein bis zwei Millionen Menschen werden erwartet. Sie geben nicht auf.

Seit langem schon hat Dina nicht mehr richtig geschlafen, fast an jedem Tag war sie in dieser Woche auf dem Tahrir-Platz inmitten von Kairo, hat gesehen, wie die friedliche, große Demonstration in Gewalt umschlug, wie Protestler angegriffen wurden, niedergeknüppelt, verprügelt. In der Nacht zu Donnerstag wurden Demonstranten dort aufgegriffen. Dina war nicht dabei – aber Freunde von ihr. „Sie haben sich doch nur verteidigt“, sagt sie. 25 Jahre ist Dina alt, ihren richtigen Namen will sie nicht nennen. Sie stammt aus einer Anwaltsfamilie, ist in einem großen Haus im Stadtviertel am Rande der Pyramiden nahe Kairo aufgewachsen.

Nun will sie mobilisieren, egal wie: SMS, Facebook, E-Mail oder auch Freunde anrufen, wenn sie nur so viele wie möglich überzeugen kann zu demonstrieren. Hier fühlt sie sich mächtig, kann etwas tun. Dina schreibt in Kairo ihre Doktorarbeit in Politikwissenschaft und unterrichtet an der Universität. Seit Jahren ist sie politisch aktiv – auch gegen das Regime, doch so eine Ausnahmesituation wie jetzt hat sie noch nie erlebt.

Wer Dina sieht, würde keine so mutige Regimegegnerin in ihr vermuten. Ihr Gesicht ist freundlich, keine einzige Sorgenfalte ist darin zu sehen. Es braucht wenig, um ein Lächeln von ihr zu bekommen. Lange schwarze Haare umranden ihr Gesicht. Ob sie Angst habe, gegen das Regime aktiv zu werden? „Nein“, sagt sie mit harter Stimme. „Menschen wurden getötet, wir müssen aufwachen.“ Man könne nicht einfach noch Monate warten und sehen, ob Mubarak dann abtritt. „Wir hören nicht auf, bis unsere Forderungen erfüllt werden“, sagt Dina.

In einem anderen Teil der Stadt, im Viertel Nasr City, macht sich zur gleichen Zeit Samir E. – auch er heißt in Wirklichkeit anders – wieder auf den Weg zur Demo auf dem Tahrir-Platz. Er hat ein schlechtes Gewissen, weil er nicht da war in der besonders gefährlichen Nacht zum Donnerstag. Jetzt will der 25-Jährige seine Mitstreiter wieder unterstützen: „Ich kann sie doch nicht einfach alleine lassen“, sagt er und klingt verzweifelt. Samirs Kernforderung ist „eine Demokratie nach amerikanischem Vorbild“. Der Präsident dürfe nicht die volle Entscheidungskompetenz haben. „All das Blutvergießen hätte verhindert werden können, wenn das Regime früher eingelenkt hätte.“ Schon vor Monaten, als el Baradei dafür warb, die Verfassung zu verändern, um bei der Präsidentschaftswahl auch andere Kandidaten als nur den der Regierungspartei zuzulassen, unterschrieb Samir die Petition. Und er trug den Gedanken el Baradeis weiter: Er verbreitete die Petition über Facebook und versuchte, Menschen im persönlichen Gespräch zu überzeugen.

Wenn es erst einmal eine Demokratie gebe, so ist er überzeugt, würden die Ägypter auch die anderen Probleme lösen können: Gesundheitsversorgung, bessere Bildung, Abschaffung des Notstandsgesetzes.

Samir ist Softwareentwickler bei einer internationalen Firma. Zur Arbeit kann Samir in der Ausnahmesituation dieser Tage allerdings nicht gehen. Wenn er gerade nicht demonstriert, ist er eingeteilt, um im Schichtwechsel mit anderen jungen Männern sein Stadtviertel zu beschützen. Nach wie vor drohen Plünderungen.

„Meine Familie macht sich natürlich Sorgen, wenn ich demonstrieren gehe“, sagt er, „aber sie glauben an die Sache.“ Nicht alle Familien seien so. „Nach dem, was er in den letzten Tagen getan hat, glauben zwar wirklich viele, dass Mubarak ein Krimineller ist, aber manche meinen, dass jetzt Chaos herrscht und wir alle lieber nach Hause gehen sollten.“ Für eine Übergangsphase kann Samir sich gut eine Führungsrolle für el Baradei vorstellen. „Er ist zwar bei den Menschen auf der Straße nicht als Vertreter der Revolution anerkannt, aber es gibt aus meiner Sicht auch keine Alternative“, sagt Samir.

Dass sich unter den Demonstranten bislang kein Anführer herauskristallisiert habe, sei gar nicht ideal. „Das macht uns schwach“, sagt Samir – und verlässt seine Wohnung in Richtung Tahrir-Platz.

Den eingeschlossenen Demonstranten im Hochhaus hilft schließlich doch noch irgendwer, vielleicht die Armee, sie wissen es nicht. Jedenfalls verschwinden die Mubarak-Befürworter vor der Tür und lassen die Belagerten ziehen. Rizk setzt sich in ein Taxi, fährt zur Wohnung eines Freundes, wo er bleiben wird. Keiner von ihnen will an diesem Donnerstag noch einmal hinaus.

Mitarbeit Johannes Schneider

Karin Schädler

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