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Politik: Kabinett der Extreme

Weitere Rücktritte in Polens Regierung / Vizepremier Lepper zu Haftstrafe auf Bewährung verurteilt

Das Ministerkarussell dreht sich in Polen nach dem Regierungsbeitritt populistischer EU-Gegner munter fort. Aus Protest gegen die ministeriale Aufwertung der Bauernprotestpartei Samoobrona (Selbstverteidigung) und der rechtsklerikalen „Liga der Polnischen Familien“ (LPR) warf zu Wochenbeginn die Deutschland-Beauftragte Irena Lipowicz das Handtuch. Sie begründete ihren Schritt laut Nachrichtenagentur PAP am Montag mit der Berufung des Samoobrona-Chefs Andrzej Lepper zum stellvertretenden Regierungschef und Landwirtschaftsminister. Deshalb hatte zuvor bereits Außenminister Stefan Meller seinen Rücktritt erklärt. Auch der parteilose Gesundheitsminister Zbiegniew Religa will die Regierung verlassen. Sein Rücktrittsgesuch hat der nationalkonservative Premier Kazimierz Marcinkiewicz zwar vorläufig nicht angenommen. Doch in Warschau gilt es nur als Frage der Zeit, bis nach Religa auch die letzten liberalen Feigenblätter die nationalistische Chaoskoalition verlassen.

Ihren katastrophalen Ruf haben die beiden neuen Stellvertreter des Premiers schon an ihrem ersten Amtstag bekräftigt. Nur drei Tage nach seiner Ernennung wurde Lepper am Montag wegen der Verleumdung politischer Gegner von einem Warschauer Berufungsgericht rechtskräftig zu einer 15-monatigen Haftstrafe auf Bewährung verurteilt. Der Chef der populistischen Samoobrona hatte in einer Parlamentsrede 2001 zwei sozialdemokratische Minister und drei Vertreter der liberalen Bürgerplattform der Korruption bezichtigt. In den 90er Jahren hatte Lepper militante Bauernproteste gegen den EU-Beitritt Polens angeführt.

Polens neuer Erziehungsminister, LPR-Chef Roman Giertych, kündigte indes seinen Kritikern zum Amtsantritt erst einmal Klagen an. Er sei ein „Patriot“ und jeden, der ihn als „Nationalist oder als Faschist“ bezeichne, werde er vor Gericht zitieren, sagte der studierte Jurist und reagierte damit auch auf die anhaltenden Schülerdemonstrationen gegen seinen Aufstieg zum Erziehungsminister. Die Befürchtungen der Schüler, dass mit dem Regierungseintritt der LPR der „Geist des Nationalismus und des Klerikalismus“ in die Klassenzimmer einziehen könne, sind keineswegs unbegründet. Seit Giertych 1989 die rechtsextreme „Allpolnische Jugend“ neu gründete, hat sich der 35-Jährige als das wortgewaltigste Sprachrohr von Polens frömmelnden Nationalisten profiliert. Toleranz hatte sich die Ende der 90er Jahre gegründete LPR in ihrer kurzen Geschichte noch nie auf die Parteifahnen geschrieben. Hetztiraden gegen die EU, gegen Linke, Liberale, Schwule oder missliebige Künstler zählen zum Standardrepertoire der Partei, der 2001 dank des Trommelfeuers des rechtsnationalen „Radio Maryja“ der erstmalige Einzug in den Sejm gelang. Wie Giertych sieht sich die von ihm gehätschelte Allpolnische Jugend in der Tradition von Polens Nationaldemokraten der Vorkriegszeit: Auch in ihrem Selbstverständnis knüpft die schlagkräftige Kampftruppe der LPR an die Politik ihrer antisemitischen Vorläufer an.

Ob bei Schwulenparaden oder bei in ihren Augen sittenwidrigen Kunstausstellungen: Stets wissen die Nationalisten von der Allpolnischen Jugend eine ausreichende Zahl kahlköpfiger Eier- und Steinewerfer für ihre Gegendemonstrationen zu organisieren. Seit seinem Wechsel ins Parlament hält sich LPR-Chef Giertych mit Auftritten bei seiner von ihm nach Kräften geförderten Jugendorganisation zwar etwas zurück und mimt nun im dunklen Anzug den ehrenwerten Politiker. Doch seine Allpolnische Jugend unterhält sehr wohl die von ihm bestrittenen Kontakte ins Neonazi-Milieu, wo sie gezielt Mitglieder rekrutiert. So ließen sich zwei 27-jährige Sejm-Abgeordnete der LPR zum Entsetzen der polnischen Presse im vergangenen Herbst mit zum Hitlergruß erhobenen Händen ablichten: Beiden Aktivisten der Allpolnischen Jugend hatte Giertych zu einem sicheren Listenplatz verholfen.

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