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Politik: Kämpfen – und helfen

Die Vereinigten Staaten schicken bewaffnete Aufbauteams in die afghanischen Provinzen. Hilfsorganisationen kritisieren den Doppelauftrag

Der Kurswechsel kommt spät – aber vielleicht noch rechtzeitig, um Afghanistan vor dem Rückfall in die Anarchie zu bewahren. Die amerikanischen Truppen in dem Land werden künftig nicht mehr nur Talibankämpfer und andere Extremisten jagen, sondern auch den Wiederaufbau in den Provinzen überwachen, dort, wo lokale Kriegsherren die Autorität der Zentralregierung untergraben. In acht bis zehn Städten will die US-Armee so genannte „Provincial Reconstruction Teams“ aus 40 bis 70 bewaffneten Soldaten und zivilen Helfern stationieren. „Die Teams sollen den Wiederaufbau in Gang bringen und durch ihre Präsenz die Sicherheitslage positiv beeinflussen“, sagt ein Sprecher des in Tampa, Florida, stationierten Zentralkommandos für Auslandseinsätze der US-Armee dem Tagesspiegel.

Diese Nachricht dürfte nicht nur in Kabul, sondern auch in Berlin und Den Haag mit Erleichterung aufgenommen worden sein, denn die Diskussion um eine Ausweitung des Mandats für die Isaf-Schutztruppe in Kabul, die vom 10. Februar an unter deutsch-niederländischem Kommando stehen wird, ist damit erst einmal vom Tisch. Offiziell kommentieren will man die US-Pläne in Berlin allerdings derzeit nicht.

Die ersten bewaffneten Helfer haben ihre Arbeit bereits aufgenommen: in Gardes, der Hauptstadt der östlichen Unruheprovinz Paktia, wo die US-Truppen regelmäßig in Kämpfe verwickelt werden. Was der US-Gesandte David T. Johnson bei der zweiten Afghanistan-Konferenz Anfang Dezember auf dem Bonner Petersberg noch als vage bezeichnete, hat Gestalt angenommen. Nach Angaben der US-Botschaft in Kabul ist geplant, bis Ende Juni Teams nach Bamian, Kundus, Masar-i-Scharif, Dschalalabad, Kandahar und Herat zu entsenden. „Die genaue Zusammensetzung der Einheiten und ihre Aufgaben hängen von den Bedürfnissen der einzelnen Provinzen ab“, erläutert der Sprecher des Zentralkommandos in Tampa. Sie könnten etwa die örtlichen Verwaltungen beraten, beim Bau von Brücken und Straßen helfen, Wasserleitungen instand setzen oder auch in Krankenhäusern arbeiten.

Über ihren wichtigsten Auftrag, die Gouverneure zur Zusammenarbeit mit der Zentralregierung in Kabul zu bewegen und die lokalen Milizen in Schach zu halten, wird offiziell nur ungern gesprochen. Ohnehin ist fraglich, ob die kleinen Trupps dies überhaupt leisten können. Die Vorsitzende des Menschenrechtsausschusses des deutschen Bundestages, Christa Nickels von den Grünen, hat nach Gesprächen mit amerikanischen Diplomaten in Kabul aber den Eindruck gewonnen, „dass die USA eingesehen haben, wie wichtig es ist, die lokalen Warlords zurückzudrängen“. Das war nicht immer so: Viele der Kriegsherren haben die USA im Kampf gegen die Taliban unterstützt und standen lange unter Washingtons Schutz. Nach der Vertreibung der Gotteskrieger mussten sie deshalb kaum Widerstand fürchten, als sie mit ihren Kämpfern in einigen Provinzhauptstädten quasi-unabhängige Fürstentümer errichteten. Einige erhielten sogar amerikanische Militärhilfe. Zu den mächtigsten Kriegsherren gehört Ismail Khan, der selbst ernannte Emir von Herat. In einem Bericht der Menschenrechtsorganisation „Human Rights Watch“ werden Khan und seinen Milizen willkürliche Verhaftungen von Oppositionellen, Folter und weitere Menschenrechtsverletzungen vorgeworfen. Die Situation der Frauen sei ähnlich wie zur Zeit der Talibanherrschaft. „Herat ist die schlimmste Provinz für Frauen“, heißt es in dem Bericht.

Solche Grauzonen sind kritisch, findet Christa Nickels: „Wenn die USA nun auch humanitäre Hilfe leisten, gefährden sie den neutralen Status ziviler Hilfsorganisationen.“ Eine klare Trennlinie fordert auch „Ärzte ohne Grenzen“: „Sonst verlieren wir das Vertrauen der Menschen“, sagt die Afghanistan-Koordinatorin der Organisation, Josje Reinartz. Durch die US-Teams werde diese Linie verwischt. Reinartz fürchtet außerdem, dass auch Extremisten künftig nicht mehr zwischen Soldaten und unabhängigen Helfern unterscheiden und ihre Kollegen gezielt angreifen – erst recht, wenn es zu einem Krieg gegen den Irak kommt. Dann aber werden ohnehin viele Helfer abgezogen.

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