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Gut gerüstet. Ein Posten der „Freien Syrischen Armee“. Immer mehr Deserteure schließen sich den Aufständischen an, arabische Länder liefern Waffen. Foto: Vedat Xhymshiti/AFP

© AFP

Politik: Kampf an vielen Fronten

Aus Syrien kommen immer neue Schreckensmeldungen, doch die Opposition bleibt zerstritten.

Die Seelenmassage von Nabil al Arabi hat nicht geholfen, Syriens Opposition bleibt tief entzweit. Auch bei ihrer zweitägigen Konferenz in Kairo unter der Schirmherrschaft der Arabischen Liga und ihres Generalsekretärs konnten sich die 250 Delegierten offenbar nicht auf einen gemeinsamen Fahrplan für die Übergangszeit nach einem Sturz des Assad-Regimes verständigen. Der frisch gekürte Chef des Syrischen Nationalrates (SNC), der Kurde Abdel Basset Sayda, hatte den Delegierten ein umfangreiches Dokument vorgelegt, das jedoch bei der „Freien Syrischen Armee“ und ihrem politischen Arm, der „Generalkommission der Syrischen Revolution“ sofort auf strikte Ablehnung stieß. Deren Vertreter lehnen jeden Dialog mit dem „mörderischen Assad-Regime“ ab und setzen angesichts der Waffenhilfe aus den Golfstaaten jetzt allein auf den militärischen Erfolg. Andere Gruppen dagegen, die im „Nationalen Syrischen Koordinationskomitee für Demokratischen Wandel“ (NCCDC) zusammengeschlossen sind, halten Verhandlungen sowie die Bildung einer nationalen Übergangsregierung für den einzigen Weg, den totalen Zusammenbruch des syrischen Staates abzuwenden.

Parallel dazu legte „Human Rights Watch“ am Dienstag eine 78-seitige Dokumentation über den „Folter-Archipel“ des syrischen Regimes vor. Nach Einschätzung der Menschenrechtsorganisation wurden seit Beginn des Volksaufstandes im März 2011 zehntausende Menschen in Folterzentren festgehalten und systematisch gequält. Gefangene berichteten von tagelangen Prügeln, Schlafentzug, Elektroschocks, sexuellen Erniedrigungen, Herausziehen von Fingernägeln sowie Scheinexekutionen. Der Text basiert auf über 200 Interviews, die „Human Rights Watch“ mit Opfern, darunter Frauen und Kinder, sowie desertierten Tätern geführt hat. Die gemeinnützige Organisation forderte den UN-Sicherheitsrat auf, die Erkenntnisse dem Internationalen Strafgerichtshof in Den Haag (ICC) zu übergeben. UN-Menschenrechtskommissarin Navi Pillay warf am Dienstag auch der bewaffneten Opposition vor, Verbrechen gegen die Menschlichkeit zu begehen. „Beide Seiten verüben schwere Menschenrechtsverletzungen, unter anderem Überfälle auf Krankenhäuser“, sagte sie und machte die zunehmenden Waffenlieferungen an die Konfliktparteien für die Eskalation verantwortlich. Nato-Generalsekretär Anders Fogh Rasmussen sprach daher von „der größten Herausforderung für die Sicherheit, mit der die Welt heute konfrontiert ist“.

Bei der bisher größten Massendesertion syrischer Truppen hatten sich zuvor 85 Soldaten, darunter 14 Offiziere und ein General, in die Türkei abgesetzt. Dort wurden sie in einem Zeltlager untergebracht, in dem sich bereits rund 2000 Deserteure befinden. Die Türkei erlaubt der „Freien Syrischen Armee“ nicht, auf ihrem Territorium Stützpunkte zu errichten. Waffentransporte aus den Golfstaaten Qatar und Saudi-Arabien an die Rebellen jedoch lässt Ankara über die Grenze passieren. Unterdessen erklärte Syriens Präsident Baschar al Assad in einem Interview mit der türkischen Zeitung „Cumhuriyet“, er bedauere „zu 100 Prozent“ den Abschuss der türkischen F-4-Phantom. Der syrische Flugabwehrschütze habe den Jet irrtümlich für eine israelische Maschine gehalten.

Die Flucht der 85 Deserteure und ihrer Familien sei offenbar von langer Hand vorbereitet worden, sagte ein türkischer Regierungsvertreter dem Tagesspiegel. „Sie kamen in einer Gruppe an“, sagte er. Insgesamt sind nach türkischen Schätzung inzwischen rund 60 000 Soldaten in Syrien desertiert, einige tausend sind in die Türkei geflohen, darunter mehr als ein Dutzend syrische Generäle. Auch hohe Regierungsbeamte setzen sich von Assad ab. Erst am Montag habe ein altgedientes syrisches Regierungsmitglied die Opposition um Hilfe bei der Flucht gebeten, sagte Fevzi Zakiroglu, Pressesprecher des Oppositions-Dachverbandes SNC in der Türkei. Bisher hat die Zahl der Desertionen allerdings keine kritische Schwelle überschritten. Die syrische Armee ist etwa 500 000 Mann stark, wobei die Führungsebene aus Mitgliedern der alawitischen Minderheit des Assad-Clans besteht. Besonders wichtige Truppenteile, wie die Republikanische Garde und die berüchtigte Vierte Panzerdivision, stehen treu zum Regime.

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