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Politik: Kampf der Bilder und Begriffe

Der Machtwechsel polarisiert Ägypten.

Kairo - Seit die Armee den islamistischen Präsidenten Mohammed Mursi entmachtet hat, herrscht in der Medienlandschaft am Nil eine Einhelligkeit wie seit den Zeiten von Hosni Mubarak nicht mehr. Alle fünf islamistischen Fernsehkanäle sind abgeschaltet. Und Ägyptens Journalisten scharen sich mit gleicher Inbrunst hinter der Militärführung wie vor der Revolution 2011 hinter dem Regime des gestürzten Alt-Pharaos. Dagegen sind die Muslimbrüder, die noch vor einer Woche den Staatschef stellten und bei den ersten demokratischen Parlamentswahlen knapp die Hälfte aller Stimmen bekamen, quasi über Nacht zu „Terroristen“ umbenannt, ihre Organisation zur „Terrortruppe“ abgestempelt worden.

So total die Gesellschaft, so total sind inzwischen auch die Medien polarisiert. Aus dem Kampf auf der Straße ist ein Kampf der Bilder und der Begriffe geworden. War das Ganze nun ein Militärputsch oder eine Zweite Revolution? War das Blutbad vor den Republikanischen Garden ein Massaker, ein angebliches Massaker oder legitime Selbstverteidigung der Streitkräfte nach einem Terrorangriff?

Für die ägyptischen TV-Kanäle sind die Antworten klar. Sie folgen unbesehen der Version der Streitkräfte. Im Staatsfernsehen sind nur die offiziellen Videosequenzen zu sehen, die der in Großbritannien ausgebildete Armeesprecher, Oberst Ahmed Ali, auf der Pressekonferenz per CD austeilte. Die Horrorszenen dagegen, die Anwohner des Kasernenvorplatzes auf Facebook gestellt haben, bekamen Ägyptens Zuschauer nicht zu sehen. Was vor anderthalb Jahren bei dem Armee-Massaker an koptischen Christen vor dem Maspero noch einen nationalen Schrei der Empörung auslöste, wird diesmal mit Achselzucken oder gar heimlicher Genugtuung quittiert. „Das Blutbad ist die Verantwortung der Muslimbrüder“, schrieb selbst eine liberale Zeitung wie „Al Masry al Youm“. Und „Al Watan“ prangerte eine „Verschwörung des bewaffneten Flügels der Muslimbruderschaft gegen das Militär“ an.

Die Armee habe das Volk vor einer totalitären Diktatur der Muslimbrüder gerettet, heißt die inzwischen alle Berichte überwölbende Lesart der ägyptischen Medien. Wer auf dem Tahrir-Platz als ausländischer Journalist kritische Fragen stellt, dem kann es passieren, als israelischer Spion oder Jude verdächtigt zu werden. Ausländische Sender wie CNN, die von einem Militärputsch sprechen, werden offen attackiert und als Sympathisanten der Muslimbrüder beschimpft. „CNN raus“ und „BBC raus“ ist auf Plakaten der Demonstranten zu lesen. CNN-Korrespondent Ben Wedeman wurde auf dem Tahrir-Platz mitten in einer Live-Aufnahme unterbrochen, Soldaten stürmten ins Bild und beschlagnahmten seine Kamera.

Besonders im Visier aber steht der arabische Sender Al Dschasira, den viele Ägypter für ein Sprachrohr der Muslimbrüder halten. „Raus, raus“, skandierte die gesamte ägyptische Journaille am Montag vor einer gemeinsamen Pressekonferenz von Armee und Polizei zu dem Blutbad, bis schließlich Kairos Al-Dschasira-Chef Abdel Fatteh Fayed und sein Team unter sanftem Druck von Uniformierten das Feld räumten. Martin Gehlen

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