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Flüchtlinge warten im Bahnhof Keleti in Budapest.

© dpa

Flüchtlingspolitik der EU: Kann sich die Gemeinschaft noch einigen?

Die EU-Innenminister wollen heute über die gerechte Verteilung der Asylbewerber beraten. Doch es gibt Widerstand gegen verbindliche Regeln.

Am heutigen Montag kommen die EU-Innenminister in Brüssel zusammen, um über eine gerechtere Verteilung der Flüchtlinge unter den Mitgliedstaaten der Europäischen Union zu beraten. Doch vor allem osteuropäische Staaten sperren sich gegen den Plan, insgesamt 160.000 Flüchtlinge innerhalb der EU umzuverteilen.

Worüber beraten die Innenminister?

Am vergangenen Mittwoch hatte EU-Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker die Verteilung von 54.000 Flüchtlingen aus Ungarn, 50.400 Schutzsuchenden aus Griechenland und 15.600 Migranten aus Italien vorgeschlagen. Nach den Vorstellungen Deutschlands und der EU-Kommission soll die Verteilung auf die übrigen EU-Länder gemäß einem verpflichtenden Quotensystem geschehen. Der Verteilungsschlüssel soll sich im Wesentlichen nach Bevölkerungsgröße und Wirtschaftskraft der Aufnahmeländer bemessen. In geringem Maße soll auch die Arbeitslosenrate und die Zahl der bisher aufgenommenen Asylbewerber eine Rolle spielen. Deutschland würde nach diesem Verteilschlüssel rund 31.000 Flüchtlinge übernehmen.

Zusätzlich zu den 120.000 Flüchtlingen, deren Verteilung auf andere EU-Staaten Juncker am Mittwoch forderte, geht es um die Umsiedlung von weiteren 40.000 Asylsuchenden aus Griechenland und Italien innerhalb der EU. Sie sollen auf freiwilliger Basis von anderen EU-Staaten aufgenommen werden. Nachdem die Kommission bereits im Mai die Verteilung dieser Flüchtlinge gefordert hatte, haben bislang 22 der 28 EU-Länder die Aufnahme von 32.256 Schutzsuchenden zugesagt. Nun wollen die Innenminister noch einmal das Ziel bekräftigen, möglichst bis zum Jahresende sämtliche 40.000 Flüchtlinge umzuverteilen.

Welche Länder befürworten verbindliche Quoten?

Zu den Quoten-Befürwortern gehören Griechenland und Italien, wo die meisten der Schutzsuchenden zunächst den Boden der EU betreten. Darüber hinaus macht sich vor allem Deutschland, das in diesem Jahr faktisch den Großteil der Flüchtlinge aufgenommen hat, für ein festes Umverteilungssystem stark. Zu den Quoten-Befürwortern gehören unter anderem auch Frankreich und Österreich. Irland hat sich inzwischen ebenfalls bereit erklärt, 4000 Flüchtlinge aufzunehmen, wobei 2900 Menschen unter das von Juncker gewünschte Umverteilungsprogramm fallen.

Um einen Beschluss über die Quote im Kreis der EU-Innenminister herbeizuführen, müsste sich eine „qualifizierte Mehrheit“ unter den EU-Staaten zusammenfinden. Für eine solche Mehrheit ist die Zustimmung von 55 Prozent der Mitgliedsstaaten nötig, die wiederum 65 Prozent der EU-Bevölkerung vertreten müssen. Käme es am Montag im Kreis der Innenminister zu einer Abstimmung über das umstrittene Verteilsystem, sei die nötige „qualifizierte Mehrheit“ durchaus erreichbar, heißt es in EU-Diplomatenkreisen. Ob es der luxemburgische EU-Ratsvorsitz tatsächlich zum Schwur kommen lässt, ist allerdings fraglich. Denn damit würden die Quoten-Gegner vor den Kopf gestoßen. Es ist daher denkbar, dass es in Brüssel lediglich zu einer Verständigung über politische Eckpunkte zum künftigen Umgang mit den Flüchtlingen kommt, welche die Gretchenfrage – verbindliche Quote oder nicht? – damit außen vor lässt.

Welche Staaten lehnen ein Quotensystem ab?

Der Widerstand gegen eine Quotenregelung kommt nach wie vor aus dem Lager der osteuropäischen und baltischen Staaten. Polen würde eher ein System zur Verteilung der Schutzsuchenden auf freiwilliger Basis sehen, hieß es in Brüssel. Auch Ungarn sieht Junckers Plan, insgesamt 160 000 Flüchtlinge in der EU zu verteilen, weiter skeptisch. Budapest begründe die Ablehnung des Quotensystems unter anderem damit, dass der Plan der EU-Kommission von falschen Zahlen ausgehe, heißt es in EU-Diplomatenkreisen. Die Zahl von 54 000 Flüchtlingen, die dem Vorhaben zufolge den ungarischen Behörden von anderen EU-Staaten abgenommen werden sollten, sei zu hoch gegriffen, weil sich so viele Schutzsuchende gar nicht mehr in Ungarn aufhielten. Vielmehr seien sie nach Österreich und Deutschland weitergezogen.

Entscheidend für den Widerstand der Osteuropäer sind aber zwei andere Punkte: Einerseits herrscht wegen der mangelnden Erfahrung mit Einwanderung im großen Stil Skepsis gegen die Verpflichtung, Asylbewerber per Quote aufzunehmen. Andererseits wird ein fester Verteilschlüssel in diesen Staaten häufig als Einmischung der EU in die nationale Asylpolitik empfunden. Deshalb schlägt der deutsche EU-Kommissar Günther Oettinger vor, das verbindliche Quotensystem flexibel zu handhaben. „Vor allem kleinere Länder, die bisher wenig Erfahrung mit Flüchtlingen haben, sollten ausreichend Zeit bekommen, die Quoten auch wirklich zu erfüllen“, sagte Oettinger der „Welt am Sonntag“.

Zu den Gegnern eines festen Verteilschüssels gehört auch Großbritannien, das in zahlreichen Bereichen der europäischen Rechts- und Innenpolitik über ein „Opt in“ verfügt und daher selbst entscheiden kann, wann das Land dabei ist. Anstelle einer Quotenregelung setzt die Regierung in London auf millionenschwere Hilfen in der Krisenregion. Zudem will London in den kommenden viereinhalb Jahren 20 000 Flüchtlinge aus Syrien direkt nach Großbritannien holen und ihnen so die gefährliche Flucht ersparen. Auch Dänemark, das per „Opt out“ gar nicht zum Mitmachen bei dem geplanten Verteilsystem verpflichtet wäre, wird aller Voraussicht beim Innenministertreffen bei einer Quotenregelung nicht mitziehen.

Können sich EU-Länder durch eine Geldzahlung von der Quotenlösung befreien lassen?

Die EU-Kommission hat vorgeschlagen, dass einzelne Staaten bei der Quotenregelung nicht mitmachen müssen, wenn sie sich in einer besonderen Notlage befinden – etwa nach einer Naturkatastrophe. In diesem Fall sollen sie sich gegen die Zahlung einer Summe in Höhe von 0,002 Prozent der Wirtschaftsleistung von der Aufnahme der Flüchtlinge befreien lassen können. Berlin lehnt dies allerdings ab – nicht zuletzt, weil die Regelung auch zum Missbrauch einlädt. „Das wäre moralisch gegenüber den Flüchtlingen nicht richtig“, sagte ein EU–Diplomat.

Einigen sich die EU-Innenminister über eine Liste sicherer Herkunftsstaaten?

Es sieht danach aus, dass dies dem deutschen Ressortchef Thomas de Maizière und seinen 27 Amtskollegen gelingt. Bei den sicheren Herkunftsländern geht es um jene Staaten, in denen nach dem Verständnis der Europäer keine politische Verfolgung herrscht und und in die Asylbewerber in der Regel auch schnell wieder abgeschoben werden können.

Aus deutscher Sicht soll diese Liste die Länder des westlichen Balkan – Albanien, Bosnien, Mazedonien, Kosovo, Serbien und Montenegro – umfassen. Am Mittwoch hatte EU-Kommissionschef Juncker zudem vorgeschlagen, dass auch die Türkei als sicheres Herkunftsland gelten solle. Wegen der wiederaufgeflammten Kämpfe zwischen der türkischen Armee und der kurdischen Untergrundorganisation PKK ist dies allerdings im Kreis der europäischen Mitgliedstaaten umstritten.

Wie sollen die Fluchtursachen bekämpft werden?

Deutschland verlangt vor dem Treffen der EU-Innenminister, dass die Türkei, Libanon und Jordanien bei der Aufnahme der Flüchtlinge weitere humanitäre Unterstützung erhalten sollen. Darüber hinaus wollen sich die Innenminister auch mit dem von Juncker geforderten Afrikafonds in einem Umfang von 1,8 Milliarden Euro befassen. Berlin vertritt dabei die Auffassung, dass der Fonds möglichst rasch eingerichtet werden soll. Laut dem deutschen Forderungskatalog zum Innenministertreffen soll die Summe von 1,8 Milliarden Euro zweckgebunden zur Bekämpfung der Fluchtursachen verwendet werden. Im Gegenzug zur Milliardenhilfe sollen die betroffenen afrikanischen Staaten bei der Rückführung von nicht asylberechtigten Migranten stärker als bisher in die Pflicht genommen werden. „Da liegt noch sehr viel im Argen“, heißt es in EU-Diplomatenkreisen.

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