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Politik: Kanzlerkandidat auf Durchreise

Roland Koch regiert seit 100 Tagen allein in Hessen. Er macht mehr Schulden als zuvor. Viele sehen ihn bald in Berlin

Hessens Ministerpräsident Roland Koch liebt das Reizklima: Zufrieden mit den ersten hundert Tagen seiner zweiten Amtszeit begibt er sich demnächst in den Urlaub – auf eine Nordseeinsel. Doch anders als vor vier Jahren, als die Kultusverwaltung Überstunden schieben musste, um die vielen versprochenen Lehrerstellen zu besetzen, als die CDU/FDP-Mehrheit Videoüberwachung, Schleierfahndung und Haftverschärfungen durchsetzte, war es zuletzt weniger die Landespolitik, mit der Roland Koch Schlagzeilen machte. Als größten Erfolg der vergangenen Monate nennen Vertraute ohne Zögern das Tete-a-Tete mit dem mächtigsten Mann der Welt in Washington. George W. Bush wollte mit ihm sprechen, nicht mit Angela Merkel.

SPD-Fraktionschef Jürgen Walter meint deshalb, die Staatskanzlei diene dem durchreisenden Kanzlerkandidaten und politischen Heckenschützen als Unterstand. 100 verlorene Tage für Hessen beklagt sein grüner Kollege Tarek al Wazir. Mehltau habe sich über Wiesbaden gelegt, urteilt Kochs einst treuer Bündnispartner, FDP-Fraktionschef Jörg-Uwe Hahn. Die euphorische Stimmung der Wahlnacht ist selbst bei der Union verflogen. Am Montag, am 101. Tag seiner zweiten Amtszeit, wird Kochs Finanzminister Karl- Heinz Weimar einen Bewirtschaftungserlass vorlegen. Auch die Staatsdiener im reichen Hessen müssen danach 40 Prozent des Weihnachtsgelds abschreiben, Baumaßnahmen werden storniert und die Rücklagen der Ministerien einkassiert.

Trotzdem bleibt die Landeskasse für die SPD ein Sanierungsfall. Im vergangenen Jahr hat Hessen zwei Milliarden Euro neue Schulden aufgenommen. Für den laufenden Etat ist eine weitere Schuldenmilliarde vorgesehen. Doch das wird nicht reichen. Noch fehlen 10 000 Lehrstellen, eine Katastrophe, sagt die Opposition und ruft nach dem Ministerpräsidenten. Der hatte zwar im Mai, bei einem Spitzengespräch, die Angelegenheit zur Chefsache erklärt. Als die brisante Lage jetzt im Landtag erörtert wurde, ließ Koch jedoch seinem Wirtschaftsminister den Vortritt.

Nur einmal meldete er sich in dieser Woche persönlich zu Wort, zur Steuerreform. Zwei Tage, nachdem Merkel den Abtrünnigen im Präsidium auf Kurs zu bringen versucht hatte, erläuterte Koch dem Plenum 45 Minuten lang, weshalb er – anders als Stoiber und Merkel – eine Steuerentlastung auf Pump nach wie vor strikt ablehnt. Insgesamt sei doch „der Spagat zwischen Geschlossenheit der Union und Unmissverständlichkeit der eigenen Position gelungen“, bilanziert Koch-Sprecher Dirk Metz. Jetzt liege der Ball eindeutig wieder beim Kanzler, der müsse nun Sparvorschläge machen. Als Kampfansage gegen Angela Merkel hatten viele Kochs harten Kurs in der Steuerfrage interpretiert. Doch der so Kritisierte vermied peinlich jeden Beleg für diese Lesart: Als Koch bei einer improvisierten Pressekonferenz präzise auf den Kurswechsel der Unionsvorsitzenden Stoiber und Merkel angesprochen wurde, auf die These, man dürfe ruhig mehr Schulden machen, die Steuerreform refinanziere sich selbst, souffliert ihm sein Sprecher den allgemeinsten aller möglichen Kommentare: „Hessen bleibt bei seiner Position!“, sagte Metz leise vor. Koch sagte es laut nach. Für seine Position spreche volkswirtschaftlicher Sachverstand, wird er später ein bisschen deutlicher. Dass er die andere Position für Unsinn hält, diesen Rückschluss überlässt er dem Zuhörer.

Er müsse aufpassen, nicht zum Oskar Lafontaine der Union zu werden, riet ihm der Landtagsabgeordnete Mathias Wagner unlängst und nannte ihn einen Blockierer. Ungewollt spielte der Grüne auf einen erfolgreichen Coup des Saarländers an. Dem damaligen SPD-Vorsitzenden gelang es vor der Bundestagswahl 1998, die SPD-Ministerpräsidenten im Bundesrat auf Blockade festzulegen und eine Steuerreform zu vereiteln. Das war der Anfang vom Ende der Regierung Kohl und brachte Lafontaines SPD an die Macht.

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