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Ein Patient liegt auf der Intensivstation eines Krankenhauses.

© dpa

Karlsruhe: Katholische Kirche kritisiert Sterbehilfe-Urteil

In einem Prozess um Grundsatzfragen der Sterbehilfe hat der Bundesgerichtshof einen wegen versuchten Totschlags angeklagten Rechtsanwalt freigesprochen. Die Reaktionen auf das Urteil sind gemischt.

Der Abbruch einer lebenserhaltenden Behandlung sei nicht strafbar, wenn ein entsprechender klarer Patientenwille vorliege, entschied der Bundesgerichtshof (BGH) am Freitag in Karlsruhe. In diesem Fall könne nicht nur ein Behandlungsabbruch durch bloßes Unterlassen weiterer Ernährung, sondern auch durch „aktives Tun“ wie etwa der Entfernung einer Ernährungssonde gerechtfertigt sein. Der BGH hob die Verurteilung des Medizinrechtlers Wolfgang Putz wegen versuchten Totschlags auf und sprach ihn frei.

Der Münchner Rechtsanwalt hatte im Dezember 2007 Angehörigen geraten, ihre im Wachkoma liegende Mutter sterben zu lassen, indem sie die Magensonde durchschneiden und damit die künstliche Ernährung beenden sollten. Das Landgericht Fulda hatte darin eine verbotene aktive Sterbehilfe gesehen und hatte Putz im April 2009 deshalb zu neun Monaten auf Bewährung verurteilt.

Die dagegen gerichtete Revision des Angeklagten hatte nun Erfolg. Es liege „keine rechtswidrige Tötungshandlung“ vor, entschied der BGH. Der Revisionsanwalt von Putz, Gunter Widmaier, sprach von einem „Urteil von epochaler Bedeutung“.

Patientin wollte keine lebensverlängernden Maßnahmen

Die 1931 geborene Mutter lag seit Oktober 2002 nach einer Hirnblutung im Wachkoma. Sie wurde in einem Pflegeheim in Bad Hersfeld über einen Zugang in der Bauchdecke mit Hilfe einer „PEG-Sonde“ künstlich ernährt. Eine Besserung ihres Gesundheitszustandes war nicht mehr zu erwarten. Kurz vor der Hirnblutung - im September 2002 - hatte die alte Frau ihrer Tochter mündlich gesagt, dass sie im Ernstfall keine lebensverlängernden Maßnahmen durch künstliche Ernährung wolle, schriftlich hatte sie dies aber nicht fixiert.

Tochter und Sohn bemühten sich um die Einstellung der künstlichen Ernährung, scheiterten damit aber kurz vor Weihnachten 2007 am Widerstand der Geschäftsleitung des Pflegeheims. Daraufhin riet Anwalt Putz der Tochter, den Schlauch der Sonde über der Bauchdecke zu durchtrennen, was diese schließlich tat. Nachdem das Heimpersonal dies entdeckt und die Heimleitung die Polizei eingeschaltet hatte, wurde die Mutter gegen den Willen ihrer Kinder in ein Krankenhaus gebracht, wo ihr eine neue PEG-Sonde gelegt wurde. Sie starb dort zwei Wochen darauf eines natürlichen Todes aufgrund ihrer Erkrankungen.

Justizministerin: Sterbehilfe-Urteil schafft Rechtssicherheit

Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) hat das Sterbehilfe-Urteil des Bundesgerichtshofs (BGH) begrüßt. Die Entscheidung schaffe „Rechtssicherheit“ im Spannungsfeld zwischen zulässiger passiver und verbotener aktiver Sterbehilfe, betonte die Ministerin am Freitag in Berlin. Der Bundesgerichtshof habe dem Selbstbestimmungsrecht des Menschen „zurecht einen besonders hohen Stellenwert eingeräumt“.

Der BGH stelle klar, dass der freiverantwortlich gefasste Wille des Menschen in allen Lebenslagen beachtet werden müsse. „Es gibt keine Zwangsbehandlung gegen den Willen des Menschen“, sagte die Ministerin. „Niemand macht sich strafbar, der dem explizit geäußerten oder dem klar festgestellten mutmaßlichen Willen des Patienten, auf lebensverlängernde Maßnahmen zu verzichten, Beachtung schenkt“, erläuterte sie.

Dabei verwies Leutheusser-Schnarrenberger auf die Bedeutung der Patientenverfügung. Diese helfe dabei, „dass der freiverantwortlich gefasste Wille des Menschen bis zuletzt beachtet werden kann - auch und gerade dann, wenn der Mensch nicht mehr entscheidungsfähig ist“.

Auch Bayerns Justizministerin Beate Merk (CSU) sieht nun „eine wichtige Grenze zwischen erlaubter und strafbarer Sterbehilfe gezogen.“ Wolfgang Neskovic, Mitglied des Vorstands der Linksfraktion im Bundestag, betonte, das Urteil werde “der Würde des Menschen gerecht„. Es orientiere sich an der Lebenswirklichkeit vieler Angehöriger von Sterbenskranken. “Diesen Menschen wurde heute eine große Last von den Schultern genommen„, erklärte Neskovic.

Die katholische deutsche Bischofskonferenz sprach hingegen von “Grundbedenken„ gegen das Urteil. Für die katholische Kirche sei die grundlegende Unterscheidung zwischen aktiver und passiver Sterbehilfe maßgebend. “Sie ist eine unentbehrliche ethische Entscheidungshilfe und scheint uns in dem Urteil nicht genügend berücksichtigt zu sein„, heißt es in einer ersten Erklärung der Bischöfe. “Wir fürchten durch diese Verunklarung sensible ethische Folgeprobleme„, betonte die Bischofskonferenz.

Die Evangelische Kirche in Deutschland (EKD) erklärte hingegen, das Urteil trage “zu einer größeren Rechtssicherheit bei Ärzten, Pflegepersonal und Angehörigen bei„. In der christlichen Ethik gebe es “keine Verpflichtung des Menschen zur Lebensverlängerung um jeden Preis und auch kein ethisches Gebot, die therapeutischen Möglichkeiten der Medizin bis zum Letzten auszuschöpfen„. Einen Menschen sterben lassen sei bei vorher verfügtem Patientenwillen “nicht nur gerechtfertigt, sondern geboten„. Demgegenüber bleibe die gezielte Tötung eines Menschen in der letzten Lebensphase aus christlicher Sicht ethisch nicht vertretbar, auch wenn sie auf seinen ausdrücklichen Wunsch hin erfolgt.

Der Marburger Bund warnte Angehörige von Patienten davor, das Urteil misszuverstehen. Es sei „kein Freibrief für eigenmächtiges Vorgehen bei der Entscheidung über die Fortsetzung von lebenserhaltenden Maßnahmen“, sagte der Erste Vorsitzende der Ärztegewerkschaft, Rudolf Henke.

Auch die Deutsche Hospiz Stiftung mahnte: „Nicht alles, was straflos bleibt, ist auch geboten“. Ohne Patientenverfügung dürften lebenserhaltende Maßnahmen nur eingestellt werden, „wenn der Betroffene früher glasklar gesagt hat, was er will und was nicht“, betonte der Geschäftsführende Vorstand der Patientenschutzorganisation, Eugen Brysch. (ck/jg/ddp/dpa)

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