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Blick auf die Auspuffrohre eines Diesel-Pkw.

© Hendrik Schmidt/dpa-Zentralbild

Kartellverdacht und Dieselgate: Als ob die Autoindustrie gezielt am eigenen Untergang arbeitet

Ein ungeheurer Verdacht mit bislang unbekannter Dimension für die deutsche Wirtschaft steht im Raum. Politik und Industrie müssen aufhören zu tricksen. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Gerd Nowakowski

Eine „Stimmungsmache“ gegen den Diesel beklagte VW-Chef Matthias Müller dieser Tage. Das nennt man wohl Chuzpe. Immerhin wird gegen den Volkswagen-Manager wegen der Diesel-Manipulation strafrechtlich ermittelt. Zum Zeitpunkt seiner Entrüstung wusste Müller bereits, dass VW sich selbst wegen Verstößen gegen das Kartellrecht angezeigt hat. Mit dem monströsen Verdacht, dass sich fünf deutsche Automobilhersteller über lange Zeit bei vielen technischen Komponenten abgesprochen haben, geht es jetzt nicht mehr um manipulierte Diesel. Es steht vielmehr die Zukunftsfähigkeit einer Branche mit 800.000 Mitarbeitern auf dem Prüfstand, die mit feinster Technologie maßgeblich dazu beigetragen hat, dass Deutschland Exportrekorde einfährt.

Der Vorwurf kommt für die Autobauer zum ungünstigsten Zeitpunkt. In zehn Tagen soll ein Diesel-Gipfel mit der Bundesregierung, diversen Bundesländern und Herstellern Nachrüstungen vereinbaren, um die Schadstoffemissionen zu verringern. Die „Wolken beiseiteschieben“, die über der Branche hängen, wollte Branchenpräsident Matthias Wissmann – das wird jetzt noch weniger gelingen.

Es ist ein ungeheurer Verdacht, der hier im Raum steht, mit einer in der bundesdeutschen Wirtschaft bislang unbekannten Dimension. Fast muss man fürchten, dass eine ganze Branche, die zum industriellen Tafelsilber der Republik gehört, zielstrebig an ihrem eigenen Untergang arbeitet. Statt sich der Entwicklung von umweltschonenderen Alternativen zu widmen, glaubten wohl von der eigenen Macht verblendete Industriemanager, sie könnten den Markt ausbremsen. Den Dieselskandal hätte es ohne die Hybris der am Kartell beteiligten Firmen sonst vielleicht nicht gegeben. Auch dies erklärt möglicherweise, warum die deutsche Automobilindustrie beim Bau von preiswerten Elektrofahrzeugen weit hinterherhinkt.

Muss man Mitleid haben?

Muss man Mitleid haben? Die Autobauer sind schließlich selbst verantwortlich für den immensen Vertrauensverlust ihrer Kunden, weil die Konzerne bislang jegliche Fehler leugnen und Manipulationen solange abstreiten, bis die Ermittler das Gegenteil nachweisen, und gleichzeitig knallhart jegliche Entschädigung der getäuschten Käufer ablehnen. Weil Käufer sich belogen fühlen, ist der Absatz von Dieselautos ebenso eingebrochen wie der Aktienkurs der Hersteller. Schließlich müssen Kunden fürchten, bald wegen hoher Stickoxidwerte nicht mehr in Städten fahren zu dürfen. Dazu kommt ein klarer Wertverlust ihrer Autos und nach der Nachrüstung ein höherer Kraftstoffverbrauch. Außerdem stellt sich die Frage, ob die steuerliche Bevorzugung des Diesels noch gerechtfertigt ist.

Mit der Enthüllung kommt nun auch die Politik stärker unter Druck. Selbst Bundesverkehrsminister Alexander Dobrindt, der sich bislang stramm hinter die Autobauer stellte, fängt an, sich zu bewegen. Die gerade im Vorfeld des Diesel-Gipfels gemachten Angebote von Audi und Daimler, knapp vier Millionen manipulierte Fahrzeuge nachzurüsten, werden nicht mehr genügen. Zumal ein bloßes Software-Update ohne echte Nachrüstung nach Meinung von Fachleuten nur die Kassen der Hersteller schont, die realen Stickoxidwerte aber weiter fern der Grenzwerte bleiben.

Nicht nur CSU-Minister Dobrindt hat sich bislang gegen Diesel-Fahrverbote in Städten ausgesprochen, sondern auch SPD-Kandidat Martin Schulz. Mal sehen, ob das im Wahlkampf so bleibt. Das Auto hat schließlich immer noch einen zentralen Wert für die Bürger – und fast jedes zweite Auto hat noch einen Diesel unter der Haube. Umweltverbände klagen bereits gegen die Zulassung von Dieselautos mit zu hohem Stickoxidausstoß. Und es ist nur eine Frage der Zeit, bis gesundheitlich Betroffene vor Gericht ein Dieselfahrverbot in Städten erkämpfen. Für die Politik und die Autoindustrie ist das Ende der Trickserei gekommen. Aber reine Luft gibt es nur, wenn man vorher reinen Tisch gemacht hat.

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