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Politik: Kasparow für zehn Stunden in Haft

Ex-Schachweltmeister kritisiert bei Kundgebung der Opposition die Brutalität der Sicherheitskräfte

Die russische Polizei hat Ex-Schachweltmeister Garri Kasparow nach zehn Stunden Haft wieder freigelassen. Ein Gericht verhängte am Samstag eine Geldstrafe von 29 Euro (1000 Rubel) gegen den Regierungsgegner wegen Gesetzesverstößen im Zusammenhang mit seiner Teilnahme an einer verbotenen Demonstration in Moskau. „Es geht nicht um die Höhe der Strafe“, sagte Kasparow vor dem Gerichtsgebäude. Vielmehr liege die Bedeutung des Vorfalls darin, dass er nun bei einer weiteren Festnahme zu einer Gefängnisstrafe verurteilt werden könnte.

„Heute hat das Regime sein wahres Gesicht gezeigt“, erklärte Kasparow. „Der russische Staat hat gezeigt, dass er nicht mehr die Weltpresse, die öffentliche Meinung oder selbst das russische Gesetz respektiert. Jetzt ist er ein Land irgendwo zwischen Weißrussland und Simbabwe." Wegen der Demonstration waren mindestens 170 Menschen festgenommen worden. Die Demonstranten wollten einen Mangel an demokratischen Freiheiten unter Präsident Wladimir Putins Regierung anprangern. Zudem forderten sie faire Präsidentenwahlen im kommenden Jahr.

Bei der Demonstranten wurden Dutzende, auch Ältere und bloße Zuschauer, von Sicherheitskräften mit Gummiknüppeln traktiert oder mit Schlagstöcken regelrecht verprügelt. Doppelte Postenketten patrouillierten am Samstagmorgen auf allen Fernbahnhöfen und in der Metro. Die Ausgänge der U-Bahnhöfe im Zentrum der russischen Hauptstadt waren gesperrt.

Die Demonstration hatte Moskaus Stadtregierung von vornherein verboten. Genehmigt hatte sie lediglich eine Kundgebung, und auch die nicht auf dem Puschkin-Platz, wie von den Organisatoren beantragt, sondern auf dem rund anderthalb Kilometer entfernten Turgenjew-Platz. Um zu verhindern, dass die Protestler sich dorthin in Marschkolonnen begeben und damit das Demonstrationsverbot umgehen, hatten Polizei, Truppen des Innenministeriums, die sonst nur bei bürgerkriegsähnlichen Situationen zum Einsatz kommen, und Spezialeinheiten der Geheimdienste das Stadtzentrum in eine Festung verwandelt.

Die Brutalität, mit der die über 9000 Ordnungshüter, die aus ganz Zentralrussland in die Hauptstadt beordert worden waren, gegen die knapp 2000 Teilnehmer wie gegen Passanten vorgingen, bewege sich „weit jenseits von Recht und Verfassung“ konnte Schachweltmeister Garry Kasparow einem Reporter von Radio „Echo Moskwy“ gerade noch ins Mikrofon schreien. Dann wurden beide in ein Fahrzeug gezerrt und verhaftet.

Kasparow ist Chef der „Vereinigten Demokratischen Front“. Diese hatte zusammen mit anderen oppositionellen Gruppen – linken und demokratischen – im vergangenen Sommer „Das andere Russland“ gegründet. Das Bündnis ist Motor und Organisator der Anti-Putin-Märsche. Die ersten fanden bereits im Winter statt, weitere sind für diesen Sonntag in St. Petersburg und kommenden Samstag in Nischnij Nowgorod geplant.

Das Bündnis um Kasparow und Kasjanow ist für Russland ein Novum. Linke und Demokraten, die sich in Russland „Rechte“ nennen, konnten sich bisher nie zu gemeinsamem Protest aufraffen und ließen sich vom Kreml sogar gegeneinander ausspielen. „Das andere Russland“ sucht diese Lager nun zusammenzubringen. Von einer Einheitsfront gegen Putin, wie sie Kasparow und Kasjanow vorschwebt, ist das Bündnis aber noch Lichtjahre entfernt. Bisher sind nur kleinere Gruppen zur Zusammenarbeit bereit. Die Großen verweigern sich:Russlands KP, die sozialliberale „Jabloko“-Partei und die neoliberale „Union der Rechten Kräfte“ hielten auch am Samstag in Moskau eigene Kundgebungen ab und drohen damit die letzten Reste ihrer Zustimmungsraten zu verspielen. Momentan sympathisieren maximal 15 Prozent der Wähler mit der Opposition. Beobachter zweifeln, dass Kasparow und Kasjanow eine Trendwende schaffen.

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