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Protest erfolgreich – jedenfalls für Ärzte im Süden der Republik. Das Bild zeigt eine Praxis in Gelsenkirchen.

© Michael Gottschalk/ddp

Krankenkassen überstimmt: Kassenärzte bekommen eine Milliarde mehr Honorar

Bis zu zwei Milliarden Euro mehr Honorar hatten die Kassenärzte für das kommende Jahr gefordert. Nun bekommen sie die Hälfte - den Krankenkassen ist das dennoch zu viel.

Berlin - Andreas Köhler kleidete seinen Triumph am Dienstag in trockenes Gewerkschafterdeutsch. „Unter den gegebenen schwierigen Umständen“, sagte der Chef der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), „spiegelt der Schlichterspruch das maximal erreichbare Ergebnis wider“. Um mehr als eine Milliarde Euro werde das Honorar der 150 000 niedergelassenen Ärzte im kommenden Jahr steigen, teilte der Spitzenverband der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) nach dem Beschluss des Erweiterten Bewertungsausschusses mit. Und den Kommentar, dass die Beitragszahler für diesen Geldsegen aufkommen müssten, wollte sich Vorstandsvize Johann-Magnus von Stackelberg auch nicht verkneifen.

Dem Vernehmen nach wurden die Kassen, die wegen des Spardrucks und bereits erfolgter Honorarzuwächse aus den Vorjahren ursprünglich auf eine Nullrunde gedrängt hatten, in dem Gremium überstimmt. Nach Kassenangaben war das Honorar der Praxisärzte bereits 2009 um 6,3 Prozent auf 30,9 Milliarden Euro und in diesem Jahr weiter auf 32,1 Milliarden Euro gestiegen. Im Vergleich mit 2007 könne jeder Praxisinhaber im Jahr 2010 bereits 15 Prozent mehr als Reinertrag verbuchen – im Vergleich zu 2003 betrage das Plus sogar 30 Prozent . Die Ärzte dagegen hatten für 2011 einen Aufschlag von mehr als zwei Milliarden Euro verlangt – insbesondere als Kompensation für die vergleichsweise gering ausgefallenen Zuwächse in Süd- und Westdeutschland.

Dass die Mediziner dort nun 500 Millionen Euro mehr bekommen sollen, war bei der Interpretation des Verhandlungsergebnisses unter den Partnern unstrittig. Über die zu erwartende Gesamtsumme dagegen gab es noch Unstimmigkeiten. Ein KBV-Sprecher widersprach den Kassenangaben, wonach es sich um mehr als eine Milliarde Euro handle und nannte sie „irreführend“ Aus Verhandlungskreisen dagegen hieß es, der Aufschlag für die Praxisärzte könne sogar 1,3 Milliarden Euro betragen. Insgesamt kämen die Mediziner nun auf mehr als 33 Milliarden Euro, hieß es bei den Versicherern.

Der Grund für die unterschiedlichen Auslegungen liegt in der Komplexität der Honorargestaltung. Ein Großteil der Ärztevergütung fließt über so genannte Regelleistungen. Für diesen Posten wurde nach Kassenangaben nun ein Anstieg um 675 Millionen Euro vereinbart. Hinzu kommen dann aber noch andere, gesondert abrechenbare Medizinerleistungen wie etwa Vorsorgeuntersuchungen oder ambulante Operationen. Deren Anteil am Endhonorar ist aufkommensbedingt und kann deshalb, wie übrigens auch die privatärztliche Vergütung, nach aktuellem Stand nur geschätzt werden.

Die SPD-Experte Karl Lauterbach kritisierte die Einigung als „Rückschritt“ und „Ohrfeige“ für alle Ärzte außerhalb von Baden-Württemberg und Bayern. „Wenn die Honorarerhöhung genutzt worden wäre, um die einkommensschwachen Ärzte zu unterstützen, wäre sie in Ordnung gegangen“, sagte Lauterbach dem Tagesspiegel. So jedoch profitierten wieder vor allem Fachärzte und Mediziner in Süddeutschland. Die Einkommensunterschiede, die man mit der letzten Reform anzugleichen versucht habe, würden wieder größer. „Das zeigt, dass diese Honorarordnung nicht funktioniert und der Gesundheitsminister nichts dagegen tut.“

Auch Lauterbachs Parteifreundin Marlies Volkmer kritisierte die ungleiche Verteilung. Das Nachsehen hätten insbesondere die neuen Bundesländer, sagte sie und sprach von „knallhartem Separatismus“, de die „ausdrückliche Unterstützung“ durch den Gesundheitsminister habe. Allerdings stellte sie auch die Gesamterhöhung in Frage. Die Versicherten, deren Beiträge man erhöht habe, müssten sich „verhöhnt fühlen“, sagte sie, der „erneute Schluck aus der Pulle“ sei nicht mehr vermittelbar.

Aus der Koalition dagegen gab es zufriedene Stimmen. Die Selbstverwaltung habe „ihre Handlungsfähigkeit unter Beweis gestellt“, hieß es im Gesundheitsministerium. Jens Spahn (CDU) sprach von einem guten Kompromiss für alle Beteiligten, Ulrike Flach (FDP) freute sich, dass die Selbstverwaltung „ also doch“ funktioniere. Die Details der Einigung freilich müsse man sich noch genauer ansehen.

Die Ärzte indessen könnten das Wohlwollen der Koalition noch strapazieren. So drängt KBV-Chef Köhler nun darauf, das bereits zugestandene Honorarplus wegen der steigenden Krankheitslast der Bevölkerung um mehr als die vereinbarten 0,75 Prozent zu erhöhen. Der „dringend notwendige Zuwachs“ sei durch die höheren Kassenbeiträge im Jahr 2011 „bereits eingepreist“, sagte er. Sie müssten komplett den Patienten zugutekommen.

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