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Kaukasus-Konflikt: Russische Truppen dringen nach Kerngeorgien vor

Ungeachtet aller westlichen Vermittlungsversuche droht der Kaukasuskrieg zu eskalieren. Russische Einheiten haben am Montag die Grenzen der abtrünnigen Gebiete Abchasien und Südossetien überschritten und georgisches Kernland besetzt. Am Abend zogen sich die russischen Einheiten wieder aus der westgeorgischen Stadt Senaki zurück.

Erstmals seit Beginn der Kämpfe um Südossetien haben russische Truppen eine Militäroffensive im georgischen Kernland gestartet. Die Bodeneinheiten drangen nach Angaben des Verteidigungsministeriums in Moskau am Montag in die Region um die westgeorgische Stadt Senaki vor. Nach georgischen Angaben rückten russische Einheiten auch in die Nähe der Stadt Gori vor, die nahe der Grenze zu Südossetien liegt. Die Bemühungen der Europäischen Union um einen Waffenstillstand stießen in Russland auf Ablehnung.

Die georgische Regierung hat den Abzug russischer Truppen aus der westgeorgischen Stadt Senaki bestätigt. Die russischen Truppen hätten zudem die dortige Militärbasis zerstört und seien dann abgezogen, sagte ein Sprecher des georgischen Innenministeriums am Montag in Tiflis. Zuvor hatten bereits russische Nachrichtenagenturen unter Berufung auf das russische  Verteidigungsministerium den Abzug gemeldet. Im ersten Vorstoß russischer Truppen auf georgischem Gebiet seit Beginn des Konflikts war Senaki am Montag eingenommen worden.     Russische Truppen hätten zudem Stellung nahe der Stadt Gori eingenommen, sagte der Leiter des georgischen Nationalen Sicherheitsrats, Alexander Lomaja. In die Stadt selbst seien die russischen Einheiten nicht eingerückt. Zuvor hatte Lomaja mitgeteilt, Gori sei von russischen Truppen besetzt. Die Meldung war aus Moskau dementiert worden.

Saakaschwili: Moskau will ganz Georgien besetzen

Mit dem Vormarsch auf Senaki sollten neue georgische Angriffe auf Südossetien verhindert werden, teilte das russische Verteidigungsministerium nach Berichten russischer Nachrichtenagenturen mit. Russlands Luftwaffe hatte seit Beginn des Konflikts in der Nacht zum Freitag mehrmals Ziele in Georgien bombardiert, bislang waren russische Einheiten jedoch nur in den beiden abtrünnigen Provinzen Südossetien und Abchasien im Einsatz gewesen.

Georgiens Präsident Saakaschwili erneuerte seine Vorwürfe, Russland wolle ganz Georgien besetzen. Er rief seine Landsleute in einer Fernsehansprache zur Ruhe auf und betonte, dass die Hauptstadt Tiflis zumindest bis Dienstag sicher sei. Das Verteidigungsministerium in Moskau bekräftigte laut einem Interfax-Bericht, Russland habe nicht die Absicht, Tiflis anzugreifen.

Georgien ruft UN-Sicherheitsrat an

Angesichts der dramatischen Entwicklung rief Georgien den Sicherheitsrat um Hilfe an. Das höchste UN-Gremium sollte noch am späten Montagabend in New York zu einer neuerlichen Dringlichkeitssitzung zusammenkommen.

Georgiens Präsident Michail Saakaschwili erklärte am Abend in einer Fernsehansprache, dass sein Land nicht weiter gegen Russland kämpfen wolle, wie die Agentur Itar-Tass meldete. Zuvor hatte der prowestliche Staatschef erklärt, er habe im Beisein von Frankreichs Außenminister Bernard Kouchner eine einseitige Feuerpause in Tiflis unterzeichnet. Dies hatte Moskau als Voraussetzung für eine Einstellung der Kämpfe gefordert. Der amtierende EU-Ratsvorsitzende Kouchner rief Russland auf, die Vereinbarung zum Waffenstillstand ebenfalls zu unterschreiben. Auch am Vortag hatte Georgien bereits eine einseitige Waffenruhe verkündet.

Moskau: "Kein Eroberungskrieg"

Bis zum Montagabend rückten russische Einheiten über die westgeorgische Stadt Sugdidi nach Senaki vor. Die Stadt liegt etwa 300 Kilometer westlich von Tiflis. Ziel sei es, neuerlichen Artilleriebeschuss auf Südossetien ebenso zu verhindern wie georgische Truppenbewegungen, hieß es in einer Erklärung des russischen Verteidigungsministeriums. Zuvor hatte die Militärführung in Moskau bekräftigt, in Georgien keinen Eroberungskrieg zu führen.

Nach jüngsten Angaben des russischen Außenministeriums kamen in Südossetien bislang 1600 Menschen ums Leben. Georgien geht von deutlich weniger Opfern aus. Russlands Präsident Dmitri Medwedew sagte in Moskau, der Einsatz zur "Befriedung der georgischen Macht in Südossetien" sei größtenteils erfüllt. Er schlug eine OSZE-Hilfsmission für die schwer gezeichnete Region Südossetien vor. Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) könnte bei der Bewältigung der Kriegsfolgen helfen, betonte der Kremlchef. Regierungschef Wladimir Putin warf dem Westen eine zynische Haltung vor und rechtfertigte den eigenen Waffeneinsatz als "Friedensmission".

Georgien auch in Abchasien in der Defensive

Der Vize-Generalstabschef Anatoli Nogowizyn bestritt, dass seine Luftstreitkräfte "flächendeckende Bombenangriffe in Georgien" flögen, wie die Agentur Interfax meldete. Das georgische Militär geriet auch in Abchasien, dem zweiten abtrünnigen Gebiet, in die Defensive.

Georgiens prowestlicher Präsident Saakaschwili warf Russland eine seit langem geplante Invasion vor sowie die Behinderung internationaler Hilfslieferungen nach Tiflis. Was nun geschehe, sei "der schlimmste Alptraum" für sein Land, sagte Saakaschwili in Tiflis. Zehntausende Georgier seien inzwischen auf der Flucht. Auch etwa 30.000 Südosseten sollen ihre Heimat verlassen haben.

Saakaschwili und Kouchner flüchten aus Gori

Am Nachmittag mussten Saakaschwili und Kouchner aus der georgischen Stadt Gori ausgeflogen werden, da ein Hubschrauber unbekannter Herkunft nach französischen Angaben die Sicherheitskräfte beunruhigte. Kouchner hatte gemeinsam mit seinem finnischen Kollegen Alexander Stubb in Tiflis einen Plan zur Beendigung des Konflikts vorgelegt, der unter anderem einen sofortigen Waffenstillstand sowie einen Abzug der russischen und georgischen Truppen unter internationaler Beobachtung vorsieht. Die westlichen Politiker wurden noch im Laufe des Montags in Moskau erwartet. Frankreichs Präsident Nicolas Sarkozy will am Dienstag nach Moskau reisen.

Georgien hatte in dem seit Jahren schwelenden Konflikt mit Südossetien in der Nacht zum Freitag seine Truppen in das abtrünnige Gebiet geschickt. Es kam zu blutigen Kämpfen. Russland griff daraufhin Georgien mit Panzern und tausenden Soldaten an. Während Georgien von einer "Invasion" Russlands spricht, wirft Moskau den Georgiern "Völkermord" in Südossetien vor. (peg/dpa/AFP)

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