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Auf den Barrikaden: In Kiew herrschte eine angespannte Ruhe. Die Kämpfe könnten jedoch bald wieder beginnen, neue Gespräche soll es vorerst nicht geben. Foto: Zurab Kurtsikidze/dpa

© dpa

Politik: Kein Ende der Eiszeit

In der Ukraine gehen Präsident und Opposition wieder ohne Ergebnis auseinander. Zumindest tagsüber blieb es in Kiew ruhig.

Der ukrainische Staatspräsident Viktor Janukowitsch hat nach einem Treffen mit EU-Erweiterungskommissar Stefan Füle in Kiew versprochen, alles zu unternehmen, um die Gewalt aufzuhalten. In erster Linie strebe er eine Einigung mit der Opposition an. Sollte diese aber unmöglich sein, werde er „alle legalen Mittel nutzen”, drohte er. Bisher war Janukowitsch nur zu geringen Zugeständnissen bereit, die zudem erst am kommenden Dienstag im Parlament besprochen werden sollen.

Nach einem Treffen mit wichtigen Kirchenführern der Ukraine nahm Janukowitsch die Polizei trotz mehrerer Todesopfer bei ihren Einsätzen a in Schutz. „Sie halten sich strikt an das Recht”, sagte Janukowitsch. Die Sicherheitskräfte haben bisher drei Todesopfer bestätigt. Die Opposition spricht von sieben. Darunter befinden sich ein Demokratieaktivist, der von einer Art Todesschwadron aus dem Krankenhaus entführt, in ein Waldstück beim Flughafen Borispol gebracht und dort zu Tode gefoltert worden sein soll. Er wurde am Freitag im westukrainischen Lwiw (Lemberg) unter Anteilnahme von rund 5000 Menschen zu Grabe getragen. Auf dem Kiewer Maidan wurden für die Todesopfer am Freitagabend Lichterketten aufgestellt.

Im Verwaltungsbezirk Lwiw und vier weiteren westukrainischen Bezirken haben die prowestlichen Demonstranten die Gebäude der Präsidialverwaltung besetzt und die von Janukowitsch bestimmten Gouverneure verjagt oder zum Rücktritt bewegt. In zehn weiteren west- und zentralukrainischen Bezirken kam es zum Sturm von Regierungsgebäuden oder zu Zusammenstößen mit der Polizei.

Am Freitagmittag verhandelten am Kiewer Europaplatz erstmals radikalisierte Demonstranten mit den Sicherheitskräften direkt. Noch am Vortag hatte der informelle Oppositionsführer Witali Klitschko einen „Waffenstillstand“ für die Zeit der Gespräche zwischen Opposition und Präsident ausgehandelt. Diese Gespräche scheiterten. Am späten Abend kam es in Kiew erneut zu Ausschreitungen.

Die tausenden auf dem Maidan versammelten Demonstranten forderten von den drei Oppositionsführern Klitschko, Arsenij Jatsenjuk und Oleg Tjanibok einen Abbruch der Verhandlungen mit Janukowitsch. Dieser war den dreien nach mehr als fünfstündigen Gesprächen scheinbar entgegengekommen. Er bot eine Amnestie für die rund 300 bei den Straßenschlachten Festgenommenen sowie eine Sondersitzung des Parlaments an. Dort sollte am Dienstag über die Rücknahme der antidemokratischen Gesetze und eine Demission der Regierung von Premier Mykola Asarow abgestimmt werden. Doch das Wort Janukowitschs gilt den Ukrainern nicht mehr viel – seit 2013 hatte er versprochen, seine Parlamentsmehrheit würde die Ausreise der inhaftierten Oppositionsführerin Julia Timoschenko gesetzlich regeln. Doch das ist nicht passiert. Ähnliches befürchten die Demonstranten für Dienstag. Der Oppositionsführer Jatsenjuk von Julia Timoschenkos Vaterlandspartei sagte am Freitagabend, weitere Verhandlungen mit Janukowitsch ohne westliche Vermittler seien sinnlos.

Klitschko, Jatsenjuk und Tjagnibok nahmen unter dem Eindruck des Murrens und der Pfiffe auf dem Maidan Abstand von weiteren Verhandlungen und gaben neue Durchhalteparolen aus. Sofort wurden die Barrikaden um den Maidan verstärkt und neue errichtet. Am Boulevard Kreschtschatik stürmten Demonstranten das Landwirtschaftsministerium. Das in unmittelbarer Nähe zum Maidan gelegene Ministerium verwandelte sich bei minus 20 Grad sofort in ein Nachtlager.

An den Barrikaden beim 500 Meter entfernten Regierungsviertel wurden wieder alte Autoreifen angezündet. Sie spenden Wärme und Licht. „Freiheit oder Tod!“, steht an manchen Häuserwänden unweit der Barrikaden. Dass es dennoch tagsüber ruhig blieb, lag an der Angst vor einer weiteren Eskalation. Man wolle ein Blutvergießen vermeiden, hieß es sowohl aufseiten der Regierung wie der Opposition.

Janukowitsch reagierte auf die Zuspitzung der Lage mit der Ernennung des prorussischen Hardliners Andrej Klujew zum neuen Präsidialamtschef. Der 50-jährige Oligarch mit besten Beziehungen zum Kreml und zu dessen ukrainischen Freunden war bisher Vorsitzender des Nationalen Sicherheitsrats und leitete als solcher seit Montag den Krisenstab. Klujew ersetzt den am Montag entlassenen Serhij Lowotschkin, dem in Kiew nachgesagt wird, er habe sich den im Parlament eingebrachten Gesetzen widersetzt. Lowotschkin hatte bereits nach der gewaltsamen Räumung des Maidan Ende November sein Amt zur Verfügung gestellt, doch Janukowitsch nahm sein Rücktrittsgesuch damals nicht an.

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