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Hans-Georg Maaßen, Präsident des Bundesamtes für Verfassungsschutz.

© dpa

Forschungsprojekt: Kein prägender NS-Einfluss auf Verfassungsschutz

Zwei Historiker arbeiten die NS-Verstrickungen des Bundesamtes für Verfassungsschutz auf. Am Dienstag haben sie eine Zwischenbilanz gezogen mit dem Ergebnis, dass der NS-Einfluss nicht so stark war wie bei anderen Sicherheitsorganisationen. Trotzdem gab es bemerkenswerte Fälle.

Die beiden Historiker der Ruhr-Universität Bochum, Constantin Goschler und Michael Wala, hatten ein Problem. Sie sollten, kurz gesagt, überprüfen, inwiefern es im Bundesamt für Verfassungsschutz kurz nach seiner Gründung bis zum Jahr 1975 NS-belastetes Personal gab. Nur fehlten etliche Akten. Umzüge und auch gesetzlich vorgeschriebene Löschungsfristen führten dazu, dass es kaum Akten gab. Aber die Wissenschaftler wussten sich zu helfen: Sie haben Impflisten und Dokumente von Personalratswahlen durchforstet. "Die Aktenlage war schon sehr, sehr problematisch", sagte Wala am Dienstag bei der Vorstellung des Zwischenberichts zum Forschungsprojekt mit dem sperrigen Titel "Organisationsgeschichte des Bundesamtes für Verfassungsschutzes 1950-1975, unter besonderer Berücksichtigung der NS-Bezüge früherer Mitarbeiter in der Gründungsphase." Die beiden Historiker hatten nach einer Ausschreibung den Zuschlag zu diesem Geschichtsprojekt erhalten. Im November 2011 nahmen sie ihre Arbeiten auf und die wird noch bis Ende 2014 anhalten.

Weniger Personen mit NS-Vergangenheit als in anderen Organisationen

Im Beisein vom amtierenden BfV-Präsidenten Hans-Georg Maaßen stellten sie am Dienstag eine Halbzeitbilanz ihres Projekts vor. Und trotz der schwierigen Aktenlage haben sie erste Erkenntnisse gewonnen. Demnach gab es beim Verfassungsschutz, zumindest beim Bundesamt, deutlich weniger Personen mit einer NS-Vergangenheit als das beispielsweise bei anderen Organisationen wie dem Bundeskriminalamt oder dem Bundesnachrichtendienst der Fall gewesen war.

Auch diese beiden Sicherheitsbehörden hatten, meist nach öffentlichem Druck, ihre Geschichte aufarbeiten lassen. So seien zu 205 Personen Dokumente über eine Mitgliedschaft in einer NS-Organisation gefunden worden, was einem Prozentsatz von etwa 13 Prozent entspreche. Allerdings raten die Wissenschaftler zu großer Vorsicht bei der Zahl, erstens weil sie ihre Arbeit noch nicht abgeschlossen haben und zweitens, weil die qualitativen Details interessanter seien. Außerdem vermutet Goschler, dass es in den Landesämtern für Verfassungsschutz ganz anders ausgesehen haben könnte. Vor allem auf das Landesamt für Verfassungsschutz in Niedersachsen würde sich ein genauerer historischer Blick lohnen. Dennoch kommen die Wissenschaftler zu dem vorläufigen Schluss, dass sich ein prägender Einfluss von früheren Mitgliedern des NS-Sicherheitsapparats auf das Bundesamt für Verfassungsschutz nicht feststellen lasse. Auch greife der - gerade im Zuge der Ermittlungspannen rund um die rechte Terrorzelle "Nationalsozialistischer Untergrund" - erhobene Vorwurf, die Behörde sei auf dem rechten Auge wegen seiner Vergangenheit blind, zu kurz.

Geltende Maßstäbe der Skandalisierung

Allerdings gibt es auch andere Gründe, warum die Zahl relativ gering ist. Zum einen haben die beiden Wissenschaftler explizit nach einer Mitgliedschaft in einer NS-Sicherheitsbehörde, also Gestapo, SS oder SD geschaut. Dabei haben sie sich nach den damals geltenden Maßstäben der Skandalisierung orientiert. Und die habe sich verändert, sagen die beiden Historiker. In den 50er Jahren galt es als inakzeptabel, wenn Exzess-Täter, die beispielsweise Menschen zu Tode gefoltert haben, in einer Organisation wieder auftauchten. In den 70er Jahren wandelte sich das, da reichte schon die bloße Mitgliedschaft in der NSDAP. So musste beispielsweise 1972 Hubert Schrübbers zurücktreten als BfV-Präsident, weil seine Richtertätigkeit in der NS-Zeit zum Problem wurde. Sein Nachfolger, Günther Nollau, musste sich wegen seiner NSDAP-Mitgliedschaft rechtfertigen. Beide Sachverhalten waren seit längerem bekannt wurden aber erst später zum Problem.

Struktur und Personalauswahl beim BfV

Eine Erklärung für die relativ geringe Zahl an NS-belastetem Personal liefert auch die Struktur und die Personalauswahl beim BfV. Anders als beispielsweise beim BKA gab es beim BfV keine unmittelbare Vorgängerinstitution. Das BfV wurde nach Gründung der BRD neu geschaffen. Ziel war es explizit Nachrichtendienst und Exekutive zu trennen, anders als das beispielsweise bei der Gestapo der Fall war. Außerdem hatten die Westalliierten ein sehr genaues Auge auf die Organisation. "Jede Neueinstellung wurde von den Westalliierten bis zur Putzfrau genau kontrolliert", sagte Wala. Diese Kontrolle nahm Mitte der 50er Jahre ab. Aber laut den Wissenschaftlern waren da die Personen mit NS-Vergangenheit, für die ein Posten beim BfV interessant hätte sein können schon raus aus dem Geschäft oder woanders untergekommen.

Und doch gab es Wege für NS-Funktionäre in den Verfassungsschutz. Einige ehemalige NS-Funktionäre wurden nicht festangestellt, sondern kamen über Umwege zum Beispiel über die freie Mitarbeiterschaft in den Verfassungsschutz. Einige davon wurde ab Mitte der 50er Jahre, als die Kontrolle der Westalliierten nachließ, auch fest angestellt. Auch kleine NS-Seilschaften schafften es zum BfV. So beispielsweise eine Gruppe um den ehemalige Chef der deutschen Kriminalpolizei im besetzten Frankreich, die in der Spionageabwehr unterkamen sowie eine Gruppe aus dem Reichssicherheitshauptamt, die bei der Küstennachrichtenstelle in Hamburg unterkam.

Hans-Georg Maaßen betonte am Dienstag, dass die Aufarbeitung wichtig sei und das es sich beim dem Forschungsprojekt um eine unabhängige wissenschaftliche Aufarbeitung handele. "Wir wollten keine Hausgeschichtsschreiber", sagte Maaßen.

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