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Politik: Kein Weg zum Frieden

Auch an Weihnachten fehlt die Hoffnung: 2002 sind wieder alle Vermittlungsbemühungen in Nahost gescheitert

Wer vor einem Jahr gedacht hatte, der Konflikt zwischen Israelis und Palästinensern könne nicht mehr schlimmer werden, hat sich geirrt. Beide Völker stolpern auf den Abgrund zu, und auch die Versuche ausländischer Mächte, eine Wende zum Guten zu erzwingen, scheiterten. Grundlage der zahllosen Initiativen waren die Osloer Abkommen. Ausgehend von der gegenseitigen Anerkennung der israelischen Regierung und der PLO sollte ein Verhandlungsprozess in einem Friedensvertrag und der Gründung eines Staates Palästina neben Israel münden. Doch beide Seiten haben die sich daraus ergebenden Verpflichtungen nicht eingehalten.

In Israels Regierungskoalition wurde in diesem Jahr der Ruf nach einer offiziellen Annullierung der Osloer Abkommen immer lauter und letztlich nur aus taktischen Überlegungen heraus abgelehnt. In inoffiziellen Gesprächen versucht inzwischen der aus der Arbeitspartei ausgetretene Ex-Minister Yossi Beilin mit PLO-Funktionären wie Abu Ala und Abu Mazen realistische Lösungsvorschläge auszuarbeiten – und hat dabei auch Fortschritte erzielt. Doch weder sind Verträge unterzeichnet worden, noch wollen Jassir Arafat und Ariel Scharon die Gespräche öffentlich befürworten.

Die Nahost-Konzepte des amerikanischen Geheimdienstchefs George Tenet und des ehemaligen US-Senators George Mitchel gerieten im Laufe der vergangenen zwölf Monate angesichts palästinensischer Selbstmordattentate und israelischer Vergeltungsschläge in Vergessenheit. Zahlreiche Vermittlungsversuche europäischer Politiker, allen voran der von beiden Seiten hoch geschätzte deutsche Außenminister Joschka Fischer, dienten eher dazu, akut auflodernde Flammen niederzuschlagen. Grundsätzliches war von ihnen aber auch deshalb nicht zu erwarten, weil dies zu Spannungen mit der amerikanischen Regierung geführt hätte.

Denn US-Präsident George W. Bush hat seine eigenen Vorstellungen vom Nahostkonflikt. Spätestens in seiner Rede im Juni hat er sich von der Rolle des zwar mit Israel sympathisierenden, aber letztlich neutral zu bleiben versuchenden Vermittlers verabschiedet. Er sprach sich damals zwar für einen provisorischen Staat Palästina aus, gab aber gleichzeitig Jassir Arafat die Alleinschuld an der Gewalt und dem Ausbleiben von Fortschritten. Minimale Hoffnungen weckte daraufhin ein Zusammenschluss aller relevanten politischen Kräfte im so genannten Nahost-Quartett aus den Vereinten Nationen, den USA, der EU und Russland. Nach dessen Plan sollen sich die Israelis von 2004 an aus den palästinensischen Gebieten zurückziehen. Bis 2005 ist die Gründung eines Staates Palästina vorgesehen. Derzeit scheint dies die einzige relevante Grundlage für einen Verhandlungsprozess zu sein.

Was ins Auge sticht, ist besonders die Verhandlungsunwilligkeit von Jassir Arafat und Ariel Scharon. Beiden Führern fehlt es – im Gegensatz zu zahlreichen ihrer Untergebenen – an der Einsicht, dass der Konflikt nicht mit Gewalt gelöst werden kann. Arafat ließ Terroranschläge gegen Israelis zu, ja ermunterte offensichtlich selbst zur Gewalt. Scharon demütigte den aus seiner Sicht „nicht relevanten“ Palästinenserpräsidenten durch die zweifache Belagerung und weitgehende Zerstörung von dessen Herrschaftskomplex „Mukata“ in Ramallah, ließ die autonomen palästinensischen Westbank-Städte wieder besetzen, angebliche Terrorverdächtige liquidieren und deren Häuser zerstören. Sogar an Weihnachten wird in diesem Jahr die israelische Armee die Stadt Bethlehem nicht verlassen. Noch nie waren die beiden Völker so verzweifelt – und so enttäuscht von ihrer politischen Führung. Und trotzdem: Bei den Wahlen zur Knesset in Israel am 28. Januar und bei den für den Januar anberaumten, aber kaum durchführbaren Wahlen zum Palästinensischen Legislativ-Rat (PLC) werden die Herrschenden wohl wiedergewählt. Es fehlt an personellen und politischen Alternativen.

Beim jüngsten Vermittlungsversuch des Nahost-Quartetts am Freitag sagte US-Präsident George W. Bush: „Ich glaube, dass zwei friedlich nebeneinander lebende Staaten in jedermanns bestem Interesse sind.“ Allerdings will er sich mit Rücksicht auf Israels Wahlen vorläufig nicht auch einen „Fahrplan zur Lösung des Konflikts“ einlassen, wie dies UN-Generalsekretär Kofi Annan am Freitag in Aussicht gestellt hat.

Charles Landsmann[Tel Aviv]

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