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Politik: (Keine) Stimme ihres Herrn: Vom Wert unabhängiger Verfassungsrichter (Gastkommentar)

Am Donnerstag vergangener Woche, am Morgen des Tages, an dem in Belgrad das Parlament gestürmt wurde, war die Entscheidung des serbischen Verfassungsgerichts vom Vorabend bekannt geworden: Die Präsidentenwahl vom 24. September sei zu annulieren und vollständig zu wiederholen.

Am Donnerstag vergangener Woche, am Morgen des Tages, an dem in Belgrad das Parlament gestürmt wurde, war die Entscheidung des serbischen Verfassungsgerichts vom Vorabend bekannt geworden: Die Präsidentenwahl vom 24. September sei zu annulieren und vollständig zu wiederholen. Damit sollte dem amtierenden Präsidenten Slobodan Milosevic Luft gegeben werden bis zur Mitte des nächsten Jahres, dem offiziellen Ende der Periode, für die er gewählt worden war.

Erst am Freitagabend, als Russland seinen Herausforderer als Sieger anerkannt hatte und damit alles vorüber war, trat Milosevic vor die Fernsehkamera und teilte den "verehrten Bürgern" mit, dass er "soeben die offizielle Information erhalten" habe, "dass Vojislav Kostunica die Präsidentenwahl gewonnen hat". Und er fügte hinzu: "Diese Entscheidung wurde von dem staatlichen Organ getroffen, das die verfassungsmäßige Autorität dazu hat, und ich glaube, dass diese Entscheidung respektiert werden muss."

Das "staatliche Organ" war ein Geschöpf Milosevi¿cs. Und seine "staatliche Autorität" hatte es dazu benutzt, ihm Spielraum zu verschaffen. Damit hat es den serbischen Bürgern, die gegen Milosevi¿c gestimmt hatten, zuviel zugemutet. Die Hörigkeit hatte eine Grenze überschritten, die von Milosevi¿c verspäteter Anerkennung seiner Niederlage noch einmal vorgeführt worden ist.

Die personelle Besetzung höchster Gerichte ist in aller Welt ein heikles Thema. Es versteht sich, dass die jeweiligen Regierungen und ihre Opposition auf sie Einfluss in ihrem Sinne zu nehmen suchen. Ohne die Unterstützung der einen oder anderen Seite kommt niemand in sein Amt. Es gibt allerdings ein Beispiel dafür, dass und wie sich ins höchste Richteramt Berufene verhalten und eine tatsächlich staatliche - eine unabhängige Rolle spielen können.

1953 setzt der Kriegsheld Präsident Dwight Eisenhower als Chief Justice des Supreme Court, des höchsten Gerichts der Vereinigten Staaten, dessen Aufgabe es ist, über die Verfassung zu wachen, Earl Warren durch. Der Präsident begründete seine Wahl mit der "middle of the road philosophy" seines Kandidaten. Dahinter stand natürlich mehr. Warren war einmal Kandidat der Republikaner für die Vize-Präsidentschaft gewesen. Und vor allem war der drei Mal zum Gouverneur von Kalifornien gewählte Mann im Dezember 1941 nach dem Überfall auf Pearl Harbor mit beispielloser Härte gegen die japanischen Bürger Amerikas vorgegangen. Er hatte sie in Lager sperren lassen - ein Vorgang, der Jahrzehnte später Entschädigungszahlungen nach sich zog.

Doch von seiner Entscheidung für Warren hat Präsident Eisenhower nach seiner Amtszeit, gesagt, sie sei "the biggest damned-fool mistake I ever made" gewesen. Der größte Irrtum des Mannes, der in seinem Leben so dramatische Entscheidungen zu treffen hatte wie kaum ein anderer?

Am Ende der "Warren-Ära" 1969 stand eine Summe von Entscheidungen, die im besten Sinn Geschichte gemacht haben, obwohl sie zunächst Empörung auslösten. Unter dem "Warren Court" wurde der Polizei auferlegt, bei Festnahme den Delinquenten ausführlich über seine Rechte zu belehren. Die Rassendiskriminierung wurde ihrer öffentlichen Unterstützung beraubt. Die konstitutionellen Rechte der Schwarzen, der Armen und sogar der Kommunisten wurden verteidigt und gestärkt.

Die Verantwortung des Amtes hatte Earl Warren verwandelt. Die Fairness der Entscheidungen seines Gerichts ging ihm über alles. Richter können die politische Unterstützung ihrer Wahl in höchste Ämter überstehen und zu einer verfassungsmäßigen Autorität werden.

Gerhard Mauz

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