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Kenan Kolat vor dem Erdogan-Besuch: „Wir brauchen eine institutionelle Zusammenarbeit“

An diesem Dienstag kommt der türkische Ministerpräsident Erdogan nach Berlin. Der Vorsitzende der Türkischen Gemeinde in Deutschland, Kenan Kolat, spricht im Interview über seine Erwartungen.

Herr Kolat, Reden des türkischen Premiers haben hohes Potenzial, Deutschland aufzubringen – so vor Jahren die Kölner Rede. Jetzt kann er hier sogar Wahlkampf machen. Fürchten Sie die Folgen?

Es ist das demokratische Recht auch türkischer Staatsangehöriger, die im Ausland leben, in der Türkei zu wählen. Im übrigen ist das nicht ihre erste Wahl, schon früher haben etwa 150 000 bis 250 000 von der Möglichkeit Gebrauch gemacht, an der Grenze abzustimmen. Das bedeutet natürlich Wahlkampf hier, aber das muss man aushalten. Und Erdogan ist auch nicht der erste und einzige. Neben seiner AK-Partei hat auch die kemalistische CHP hier Vereine gegründet.

Also kein Problem?

Nicht im Auftritt selbst. Wir hatten hier ja auch schon einen US-Präsidentschaftskandidaten Obama. Die Frage ist nicht, ob er redet, sondern was. Und Erdogan spricht manchmal im Ausland anders als in der Türkei. Das muss man gegebenenfalls auch kritisieren.

Gilt das auch für die aktuelle Lage in der Türkei, das Vorgehen gegen die Justiz und die anhaltende Repression gegen die Gezipark-Proteste?

Sicher. Wobei Deutschland und die EU mehr Einflussmöglichkeiten hätten, wenn sie die EU-Beitrittskapitel 23 und 24 öffnen würden, in denen es um Grundrechte, Justiz und Demokratie geht.

Warum?

Ich wünsche mir natürlich Kritik. Es ist schlimm, wie die guten Ansätze der früheren Erdogan-Jahre, die demokratischen Reformen im Staatsapparat und Militär, steckenbleiben und die rechtsstaatlichen Errungenschaften zurückgedreht werden. Erdogan seinerseits sollte im Gespräch mit der Kanzlerin gern ein Wort zur vollen Gleichberechtigung in Sachen doppelte Staatsbürgerschaft sagen. Nur wird Kritik im deutsch-türkischen Verhältnis rasch hilflos.

Was meinen Sie?

Wenn die Kanzlerin von Demokratie und Grundrechten spricht – und das sollte sie, der Rechtsstaat ist das A und O in der Türkei –, kann Erdogan leicht gegenrechnen und ihr den NSU-Skandal vorhalten. Die Beziehungen zwischen Deutschland und der Türkei sind aber wichtig für uns Deutschtürken, sind sie gestört, wird das auf unserem Rücken ausgetragen.

Was erwarten Sie?

Wir brauchen eine institutionalisierte Zusammenarbeit zwischen beiden Ländern, mindestens einmal im Jahr, wie mit Frankreich, eine gemeinsame Kabinettssitzung. Das geht auch ohne EU-Beitritt. Die Türkei hat zum Beispiel jetzt ein Ministerium für die Auslandstürken und es ist zu merken, wie viel mehr man in Ankara über Deutschland weiß als umgekehrt. Die Menschen wenden sich dorthin, um ihre Probleme zu lösen, zum Beispiel die juristischen in binationalen Familien. Die Probleme der Deutschtürken sollten aber hier gelöst werden und nicht in der Türkei. Wer sich fragt, warum so viele zu Erdogan laufen und nicht auf die Kanzlerin zugehen: Das ist der Grund. Ich hoffe da auf Einsicht von Frau Merkel.

Kenan Kolat (54) ist Bundesvorsitzender der Türkischen Gemeinde. Der studierte Ingenieur, in Istanbul geboren, ist seit 33 Jahren Berliner und selbst Doppelstaatler.

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