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Historischer Schauplatz: Auf dem Majdan, dem Unabhängigkeitsplatz in Kiew, demonstrierten Ende 2004

© picture alliance / ZB

Politik: KIEW

Ein Stadion für 500 Millionen Euro – und ein skurriles Verbot in der Innenstadt.

Mutter aller russischen Städte, Jerusalem des Ostens, Stadt der Orangenen Revolution – Kiew ist seit jeher Mittelpunkt der ukrainischen Geschichte. Entscheidend beteiligt an den politischen Entwicklungen der letzten 20 Jahre und an der Akquise der Europameisterschaft war Grigori Surkis, Ehrenpräsident von Dynamo Kiew und Vorsitzender des ukrainischen Fußballverbands. Dass der stets zurückhaltend und kühl auftretende Surkis heute vor allem als Sportfunktionär wahrgenommen wird – er ist Mitglied des Uefa-Exekutivkomitees – liegt auch an seinen gescheiterten politischen Ambitionen.

Der 50-Jährige stammt aus Odessa, wo er in seiner Jugend das Tor der lokalen Fußballmannschaft hütete. Noch zu Sowjetzeiten machte er in der Bauverwaltung Karriere, was sich 1991 als perfekte Plattform für einen steilen Aufstieg herausstellen sollte. Surkis machte in Erdöl, Getreide, Stahl, Lebensmittel – und wurde einer der einflussreichsten Männer der „Sozialdemokratischen Partei“, deren Name jedoch keine Rückschlüsse auf ihr Programm erlaubt. Legendär in der Ukraine sind die Bestechung eines Schiedsrichters mit Pelzmänteln durch Dynamo-Funktionäre und der „freiwillige“ Beitritt aller Spieler und Funktionäre des Vorzeigeklubs zu eben jener Sozialdemokratischen Partei. Kurze Zeit später wollte sich Surkis zum Oberbürgermeister Kiews wählen lassen. Er scheiterte trotz einer aggressiven Kampagne. Zunehmend verlegte er sich auf den Sport. Doch auch das Leben in Kiew änderte sich mit der Orangenen Revolution 2004, zu deren Geburtsort der „Platz der Unabhängigkeit“ im Zentrum wurde. Die letzten Reste des sowjetischen Geistes wurden von Hunderttausenden scheinbar vom ehemaligen „Platz der Oktoberrevolution“ gefegt, allerdings enttäuschten die pro-westlichen Anführer der „Orangenen“ um Viktor Juschtschenko und Julia Timoschenko in der Folgezeit die Erwartungen der Bürger. Das Lebensniveau in der Dreimillionenstadt nähert sich Europa eher mit Tippelschritten.

Im Vorfeld der EM gab es in Kiew vor allem Negativschlagzeilen. Die Kostenexplosion beim Bau des Olympiastadions, Schauplatz des Endspiels, auf mehr als 500 Millionen Euro zeugte von massiver Korruption. Das Verbot, während der EM im Innenstadtbereich Wäsche auf dem Balkon aufzuhängen, wurde eher belächelt. Kiew will sich als moderne, boomende Metropole präsentieren, dabei glänzt die Stadt am Dnepr vor allem mit ihren ruhigen Parks, restaurierten Klöstern und der für Großstadtverhältnisse bemerkenswerten Freundlichkeit ihrer Bürger. Bemerkenswert ist auch die lebendige Kneipenszene, an deren Aufbau ein deutscher Abenteurer-Unternehmer aus Chemnitz entscheidenden Anteil hatte. Seither wird in Kiew jährlich das Oktoberfest gefeiert.

Beim Nahverkehr glänzt Kiew eher mit abseitigen Fakten, wie beispielsweise der mehr als 100 Meter unter der Erde angelegten U-Bahnstation „Arsenalna“ – Weltrekord. Die von der Öffentlichkeit im Zusammenhang mit der EM erwartete Modernisierung von Bahnen und Straßen fiel sparsam aus, der Etat von zwölf Milliarden Euro floss überwiegend in Leuchtturmprojekte wie das neue Nationalstadion. Nach dessen Eröffnungsspiel wurde die nächste Metrostation kurzerhand wegen Überfüllung gesperrt. Nur gut, dass es sich durch Kiew sehr angenehm spazieren lässt. Nik Afanasjew

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