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Politik: Kinder als Wahlhelfer

Viele Eltern unterrichten ihren Nachwuchs selbst zu Hause. Das Netzwerk der „Homeschooler“ könnte die überaus wichtige Senatswahl entscheiden.

Washington - Auch in Amerika gilt die Schulpflicht. Aber sie ist eher eine Schulkür. Denn es ist ziemlich einfach, sich von dieser Schulpflicht befreien zu lasen. Etwa aus religiösen Gründen. Die Berufung darauf wird als ein Elternrecht verstanden, die eigenen Kinder vor staatlicher Indoktrination schützen zu dürfen. Wer das tut, erzieht sein Kind zu Hause. Die Homeschooler sind, statistisch gesehen, in fast allen Bereichen besser ausgebildet als Gleichaltrige, die eine staatliche Schule besuchen. Was das Homeschooling, die Daheimerziehung, mit Amerikas Wahl zu tun hat? Eine ganze Menge.

In Missouri kandidiert für die Republikaner bei den Senatswahlen ein Mann, der vor sechs Wochen auch international in die Schlagzeilen geriet. Damals lag Todd Akin in dem konservativen Bundesstaat in den Umfragen vor der Amtsinhaberin, der Demokratin Clare McCaskill. In einem Interview mit einem lokalen TV-Sender in St. Louis hatte sich der 65-jährige erzkonservative Knochen dann zur Frage geäußert, ob er selbst im Falle einer Schwangerschaft, die aus einer Vergewaltigung resultiert, gegen die Abtreibung sei. Ja, das sei er, sagte er, und begründete das mit der These, dass Schwangerschaften nach „echten“ (legitimate) Vergewaltigungen ohnehin selten seien, weil der Körper der Frau sich davor schützen könne.

Das war nicht nur in medizinischer Hinsicht Quatsch (in den USA entstehen jährlich mehr als 30 000 Schwangerschaften durch Vergewaltigungen), sondern auch extrem frauenfeindlich. Entsprechend kräftig toste der Sturm der Entrüstung. Selbst prominente Republikaner sowie die Spitze der eigenen Partei forderten den Rückzug Akins von seiner Kandidatur, zumal dieser in den Umfragen prompt abschmierte. Auf dem Parteitag in Tampa war er Persona non grata. Mitt Romney sah sich gar persönlich düpiert. Denn der ist, ebenso wie Barack Obama, der Ansicht, dass Abtreibungen im Falle von Vergewaltigung, Inzest oder Lebensgefahr der Mutter erlaubt sein sollten.

Doch Akin blieb stur – und Missouri ist wichtig für die Republikaner. Bei den Präsidentschaftswahlen liegt Romney dort sehr deutlich vor Obama. Doch was wirklich zählt, sind die Senatswahlen. Denn sollten die Republikaner in Missouri gewinnen, haben sie am 6. November die Chance, in beiden Häusern des Kongresses eine Mehrheit zu bilden. Das wäre ein politisches Pfund, mit dem man wuchern kann. Ohne Missouri sähen die Aussichten dafür düster aus.

Erst kommt die Macht, dann die Moral. Kein Wunder also, das sich die Distanz der Republikaner zu Akin seit dessen verbalem Skandalon von Woche zu Woche verringert hat. Inzwischen gibt es bereits wieder Umarmungen. Gleich drei frühere Präsidentschaftskandidaten – Mike Huckabee, Newt Gingrich und Rick Santorum – unterstützen demonstrativ den konservativen Kandidaten, der die parteiinternen Vorwahlen mithilfe der Tea Party gewonnen hatte. In den Umfragen liegt dieser immer noch hinter McCaskill, holt aber auf. Das Partei-Establishment wittert Triumphchancen. Noch hält es sich zurück, doch aus dem „National Republican Senatorial Committee“ kommen erste Signale, dass man sich sogar wieder Finanzhilfen für Akins Wahlkampf vorstellen kann.

Bis das Geld wieder fließt, helfen Akin die Homeschooler. Nun schließt sich der Kreis. Akin selbst und seine Frau Lulli haben ihre sechs Kinder zu Hause unterrichtet. Und nicht nur in Missouri sind die Daheimerziehenden durch ein festes organisatorisches Netzwerk miteinander verbunden. Auf Bundesebene kämpft die „Home School Legal Defense Association“ (HSLDA) für deren Rechte. Als vor zweieinhalb Jahren ein deutsches Ehepaar, das seine Kinder zu Hause erziehen wollte, in den Vereinigten Staaten politisches Asyl erhielt, jubelte die HSLDA. Ein Sprecher sagte damals: „Der deutsche Staat versucht, ideologische Uniformität in einer Weise herzustellen, die beängstigend ist, wenn man an die Vergangenheit denkt.“

Kinder, die zu Hause erzogen werden, sind zeitlich flexibel. Was sie heute nicht lernen, holen sie morgen nach. Und Akin war schon immer ein Advokat der Homeschooler. Die wiederum sind überwiegend christlich-konservativ, mithin auf seiner Seite. Bis zu 60 Prozent seiner Wahlkampfhelfer, das berichtet die „New York Times“ unter Berufung auf Akins Stab, kommen aus dem Homeschooler-Netzwerk. Die Freiwilligen gelten als sehr engagiert, fleißig und gut organisiert.

Noch einmal: Am 6. November könnte diese Gruppe eine Senatswahl entscheiden, die den Republikanern in Amerika eine Mehrheit in beiden Häusern des Kongresses verschafft. Malte Lehming

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