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Politik: Kinder an die Front

Abzugsgegner wollen ihre Jüngsten nach vorne schicken, um den Soldaten den Einsatz zu erschweren

Neve Dekalim - Wenige Stunden vor Beginn des israelischen Abzugs aus dem Gazastreifen halten jüdische Siedler in der Siedlung Neve Dekalim Kriegsrat. Die Organisatoren des geplanten Widerstandes gegen den Räumungseinsatz geben in der Nacht zum Sonntag die Marschrichtung vor. „Die Armee zählt darauf, dass wir am Montag und Dienstag gehen“, sagt Rafi Seri, ein Anführer der Abzugsgegner, am Rande der Synagoge in der Siedlung. „Wir werden nicht gehen, und wir werden es ihnen nicht leicht machen“, warnt er.

Am Montag sollen israelische Soldaten und Polizisten von Haus zu Haus gehen und die insgesamt etwa 1700 jüdischen Siedlerfamilien zur freiwilligen Abreise auffordern. Sie werden den Siedlern 48 Stunden Frist geben, bevor die Entscheidung der Regierung von Ministerpräsident Ariel Scharon mit Gewalt durchgesetzt wird. Mit Scharons Plan werden erstmals Siedlungen in den besetzten Palästinensergebieten geräumt.

Aus mehreren der insgesamt 21 Siedlungen im Gazastreifen sind hunderte Bewohner zu dem Treffen bei der Synagoge in Neve Dekalim gefahren. Sie wollen die Zufahrtsstraßen blockieren und die Soldaten aussperren, sagen sie. Die Straßen sollen zugeparkt werden. Doch scheint es völlig aussichtslos, dass die Siedler die Räumung verhindern könnten. Mehr als 40 000 Sicherheitskräfte bietet die Regierung auf.

Dagegen wollen die Siedler auf Emotionen setzen, um den Soldaten und Polizisten den Einsatz möglichst schwer zu machen. Für einen späteren Schulunterricht über das „Verbrechen des Abzugs“ sollen die Uniformierten möglichst im Bild festgehalten werden. Mit eigenen Zeichnungen sollen Eltern ihre Kinder an die politische Front schicken, die nach den Demonstrationen der vergangenen Wochen nunmehr an der Türschwelle zum eigenen Haus verläuft. Die Kinder sollen die Herzen der israelischen Soldaten erweichen.

Obwohl die Siedler angesichts der Räumungen selber immer wieder vor einem drohenden Trauma gewarnt haben, wird es nun als wichtig bezeichnet, dass die Kinder alles genau miterleben. Die Siedlerführer hätten dazu sogar „Expertenmeinungen“ eingeholt, berichtete die Tageszeitung „Jediot Achronot“. „Abwesenheit vom Kampf könnte ein psychologisches Trauma auslösen“, werde nun auf einmal erklärt.

Eine von der Armee durchgesetzte Räumung gegen den Widerstand der Einwohner bedeutet einen Einschnitt im Verhältnis Israels zu den Siedlern. Wohin die Reise gehe, sei nicht klar, schreiben Kommentatoren am Vortag des Abzugs. „Es ist schwer, die Entwurzelten zu trösten“, meint die Zeitung „Maariv“. „In der Weltgeschichte gehören sie zu einer langen Linie von Bevölkerungen, die Kanonenfutter für die Fehler der Führungen waren. Blinde Träume, falsche Pläne, große Verrücktheit, Unfähigkeit, die Grenzen der Macht zu erkennen und Kurzsichtigkeit.“

Carsten Hoffmann u. Adam Pines[dpa]

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