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© dpa

Kinderporno-Vorwürfe: Jörg Tauss: "Das war schon reichlich blöd"

Abgeordneter, Verdächtiger, Rechercheur – SPD-Politiker Jörg Tauss über seine Kontakte zur Kinderporno-Szene. Trotz allem will er sich weiter äußern – auch zum Thema Kinderpornografie.

„Ich bin auf der Arbeit, nicht auf der Flucht“, steht auf der Tür in seinem Abgeordnetenbüro Unter den Linden. Drinnen wedelt Jörg Tauss mit seinem I-Phone herum. „Schauen Sie mal, das habe ich gerade von der Polizei wiederbekommen. Nach zwölf Wochen!“

Der Mann, der dort an seinem aufgeräumten Schreibtisch sitzt, gibt sich alle Mühe, nicht wie ein Verbrecher zu wirken. Er zeigt auch keine Reue. Dabei muss Tauss nach wie vor damit rechnen, von der Karlsruher Staatsanwaltschaft angeklagt zu werden – wegen des Besitzes von kinderpornografischen Schriften, die Ermittlungen dauern an. „Mich hat die Frage interessiert: Ist es beim Thema Kinderpornografie wirklich so, wie es erzählt wird? Ist das Internet wirklich an allem schuld?“ So begründet Tauss seine „Recherchen“. Lange, bevor das Netz zum Massenphänomen wurde, sei Kinderpornografie wesentlich freier zugänglich gewesen – „bis in die achtziger Jahre hinein wurde Material getauscht, wurden Hefte gedruckt. Nimmt das jetzt in der Menge wirklich zu? Ich behaupte, nein“. Es gebe schlicht höhere Aufklärungsraten. „Dass ich das behaupten kann, liegt an unserer Gesetzgebungsarbeit und hat mit meiner intensiven Beschäftigung mit der Sache zu tun – es wird sich zeigen, ob aus juristischer Sicht vielleicht zu intensiv“.

Hat er? Hat er nicht?

Zu intensiv – so kann man das auch nennen, was an einem Donnerstag im März über das Leben des Jörg Tauss hineinbrach. Am 5. März standen Ermittler des Bundeskriminalamtes vor seinem Abgeordnetenbüro und begehrten Zutritt, der Immunitätsausschuss des Bundestags hatte dem kurz zuvor zugestimmt. Bei einem Mann aus Bremerhaven, der wegen der Verbreitung von Kinderpornografie beschuldigt wird, hatte man zwei Handynummern gefunden, die Tauss zugeordnet werden konnten, außerdem seine Berliner Wohnadresse.

Hat er? Hat er nicht? Das ist nicht die Frage. Tauss hat, das gibt er unumwunden zu. Es sei „szeneuntypisch wenig“ Material gewesen, das die Ermittler bei ihm fanden: drei CDs und Material auf einem Handy, das noch immer bei der Staatsanwaltschaft liege. „Mindestens zwei Mal habe ich bezahlt, einmal nicht. Das Material entsprach nicht dem, was mir der Ansprechpartner versprochen hatte. Offenbar war es sein Businessmodell, die Szene abzuzocken. Das habe ich zu spät erkannt.“ Doch was treibt einen Abgeordneten, selbst in der Szene zu recherchieren? Größenwahn? Naivität?

„Ach Gott, das kann man aus heutiger Sicht sicher sagen. Die Tatsache, dass ich mich immer nur in die eine Richtung abgesichert habe – in die der Szene – und nicht in die andere, ist aber vielleicht eher entlastend. Es gibt jetzt Leute, die sagen, ich hätte mich bei einem Notar absichern sollen. Aber dann hätte es geheißen: Wie geschickt tarnt der sich!“ Über Verbreitungswege habe er recherchieren wollen, Informationen über die Szene wollte er „aus erster Hand“ bekommen.

Der Tauss kennt sich aus

„Meine These war immer, dass die Internethysterie mit der Realität nicht viel zu tun hat, und ich wollte das beweisen.“ Er habe zeigen wollen, dass nicht das Internet der zentrale Verbreitungsweg sei, sondern Handy und Briefkasten. Tauschbörsen im Internet seien nicht offen zugänglich, sondern „geschlossene Nutzerkreise“, sagt Tauss. „Er ist kein Kinderschänder“, sagt eine enge Vertraute aus der SPD-Fraktion, und ergänzt: „Ein bisschen blöd ist er trotzdem.“ Dass er über sein Vorgehen mit niemandem gesprochen habe, nennt auch Tauss heute „einen Fehler“. Mit vielen Experten habe er aber im Vorfeld über seine Thesen diskutiert. „Der Tauss kennt sich aus – das wussten viele meiner Gesprächspartner, die ich in einem Prozess auch nenne, wenn es dazu käme.“

Kommt es dazu? „Mein Ziel ist die Einstellung des Verfahrens“, sagt er. Bei der Staatsanwaltschaft in Karlsruhe sieht man das anders. „Ziel ist weiterhin eine Anklageerhebung“, sagt der zuständige Oberstaatsanwalt Rüdiger Rehring. Tauss spricht im Zusammenhang mit den Ermittlungen von „Durchleuchtungen“: „Mitbewohner und Leute auf dem Marktplatz wurden dann sogar nach meinem Sexualverhalten befragt.“ Dabei habe er schon zu Beginn völlig klargemacht, „dass ich allein gehandelt habe“. Seine Anwälte wollen Akteneinsicht über den weiteren Verlauf der Ermittlungen; Rehring hält sich dazu bedeckt.

Wie es weitergehen soll, darüber hat er sich noch nicht viele Gedanken gemacht. „Job weg, Reputation weg – Tauss, das war schon reichlich blöd“, sagt der 55-Jährige. Er spricht von Büroauflösungen und davon, dass er sich mit einem neuen Job beschäftigten müsse. Bei der IG Metall hat er noch einen Arbeitsvertrag – „ob die mich als Problem sehen, weiß ich nicht“. Wenn „das Ding vom Tisch“ sei, habe er sicher „ganz andere Optionen – ob bei der Gewerkschaft, in der Wirtschaft, der IT-Branche oder im PR-Bereich“.

"Meine Frau war perplex"

Offen spricht Tauss von seinem Privatleben. „Meine Frau war natürlich perplex, hat sich aber letztlich nicht gewundert. Ich war immer ein Typ, der Dinge durchgezogen hat“, sagt Tauss. „Sie hat zu keinem Zeitpunkt vermutet, dass ich ein Pädophiler sei.“ „Ehelich“ hätten die beiden „das alles ganz ordentlich durchgestanden“. „Nicht profan“ sei die Angelegenheit finanziell. Eine Rechtschutzversicherung habe er nicht, seine Frau und er seien aus dem Haus aus- und in eine Mietwohnung eingezogen.

Seine Karriere in der Politik sieht Tauss, der nach Beginn der Affäre alle Parteiämter aufgab, auch mit dem Ende seines Mandats im Bundestag keineswegs als vorbei an. „Ich habe letztens im Dorf 30 Wahlplakatständer aufgestellt. Und ich habe mich als Kreisdelegierter wählen lassen.“. Natürlich werde er sich weiter äußern – auch zum Thema Kinderpornografie. Der Gesetzentwurf von Ministerin Leyen zu Internetsperren müsse „in der jetzigen Form“ gestoppt werden, es handele sich um „unglaublichen Aktionismus“. Tauss lehnt sich zurück. „Ich glaube nach wie vor, das Richtige getan zu haben“, sagt er. „Ein juristisches Urteil müssen andere fällen.“

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