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Ein Mädchen und ihr Teddy in einer Berliner-Notunterkunft für Flüchtlinge.

© Britta Pedersen/dpa

Sexueller Missbrauch: Kinderschutzbeauftragte: "Flüchtlingsunterkünfte sind ein Mekka für Pädophile"

Im ersten Quartal des Jahres 2016 gab es 128 Fälle von sexuellem Missbrauch von Kindern und Frauen in Flüchtlingsunterkünften.

Flüchtlingsfrauen und ihre Kinder sind besonders gefährdet, Opfer von sexualisierter Gewalt zu werden. Nach Auskunft von Annette Groth, der menschenrechtspolitischen Sprecherin der Linken im Bundestag, sind im ersten Quartal 2016 128 Missbrauchsfälle in deutschen Flüchtlingsunterkünften bekannt geworden. Das Dunkelfeld schätzen Experten weitaus größer ein. Unter den Tätern sollen auch Wachleute und Mitarbeiter der Unterkünfte sein

Trotzdem konnten sich Bund und Länder bisher nicht auf einheitliche Standards zum Schutz von Frauen und Kindern in den Unterkünften einigen. Johannes-Wilhelm Rörig, der Missbrauchsbeauftragte der Bundesregierung, kämpft seit Monaten dafür, dass das Asylgesetz entsprechend erweitert wird. Bisher scheiterte er am Widerstand der Finanz- und Innenminister auf Länder- und Bundesebene, die administrativen Mehraufwand und zusätzliche Kosten scheuen. So ist es nach wie vor dem Zufall und dem Belieben der einzelnen Betreiber der Unterkünfte überlassen, wie wichtig der Kinderschutz genommen wird.

Am Donnerstagabend sollte das Thema bei einem inoffiziellen Gespräch von Bund und Ländern im Vorfeld der Ministerpräsidentenkonferenz am Freitag erörtert werden – und womöglich eine Entscheidung für mehr Kinderschutz fallen.

Es wird Zeit, dass kein Unterschied mehr gemacht wird zwischen deutschen Kindern und Flüchtlingskindern“

„Deutschland hat die internationale Kinderschutzkonvention unterschrieben. Es wird Zeit, dass kein Unterschied mehr gemacht wird zwischen deutschen Kindern und Flüchtlingskindern“, sagt Bianka Pergande von der Kinderschutzorganisation „Save the children“. Sie fordert, dass die Träger von Unterkünften über die Betriebserlaubnis bundesweit verpflichtet werden, dem Kinderschutz Vorrang einzuräumen. Das heißt zum Beispiel: Schutzkonzepte einführen, ausgebildetes, für Kinderschutz sensibles Personal beschäftigen, räumliche Standards schaffen, etwa geschlechtergetrennte Duschen, und Kinderbetreuung in dafür geeigneten und geschützten Räumen organisieren. Bislang ist gesetzlich lediglich festgeschrieben, dass Mitarbeiter in den Unterkünften ein erweitertes Führungszeugnis vorlegen müssen. „Das ist ein wichtiger Baustein, reicht aber längst nicht aus“, sagte Johannes-Wilhelm Rörig am Donnerstag bei einem Rundgang durch die Hangars in Tempelhof. 

„Flüchtlingsunterkünfte sind ein Mekka für Pädophile und Menschenhändler“, sagt eine Mitarbeiterin der Tamaja GmbH, die die Unterkunft in den Tempelhofer Hangars betreibt. Die Kinder hätten Furchtbares erlebt, und ihre Eltern seien oftmals selbst zu traumatisiert, um sich ausreichend um sie kümmern zu können und sie zu beaufsichtigen. Die Folge seien „massive Bindungsstörungen“ zwischen Eltern und Kindern. „Wenn die Eltern als Bezugspersonen ausfallen, suchen sich die Kinder andere Bezugspersonen, etwa unter den Wachleuten“, so die Mitarbeiterin. Erwachsene, die ihnen Böses wollten, hätten leichtes Spiel.

Viele der 1200 Geflüchteten leben seit acht, neun, zehn Monaten in den Hangars.

In den Tempelhofer Hangars leben derzeit 1200 Geflüchtete, 350 von ihnen sind Kinder und Jugendliche unter 18 Jahren. In den kommenden Monaten sollen es über 2000 Bewohner werden, da viele aus Turnhallen hierher verlagert werden. Sexuelle Übergriffe seien noch nicht bekannt geworden, so die Mitarbeiterin. „Aber vielleicht wissen wir nur nichts davon.“

Jeder zweite Hangar hat einen Raum für die Kinderbetreuung. Er ist so freundlich wie möglich eingerichtet: An den Wänden hängen gemalte Bilder; es gibt einen Kaufladen, improvisiertes Puppentheater und Spielzeug. Da es mit dem Brandschutz in den Hangars heikel sei, arbeite hier mehr Sicherheits- und Betreuungspersonal als in anderen Unterkünften.

Viele der 1200 Geflüchteten leben seit acht, neun, zehn Monaten in den Hangars. Gesetzlich vorgeschrieben ist, dass die Menschen nach einem Vierteljahr in eigene Wohnungen oder wohnungsähnliche Gemeinschaftsunterkünfte ziehen sollen. Doch die Wohnungssuche gestaltet sich schwierig, geeignete Gemeinschaftsunterkünfte fehlen. „Wir wollen mit diesen Menschen unsere Zukunft gestalten, also verbietet es sich, mit ihnen so umzugehen“, sagt Sozialarbeiter Hans-Joachim Kretschmer auf. Trotz der etwas besseren personellen Ausstattung verwalteten sie auch in den Hangars letztlich nur den Mangel. So fehlen zum Beispiel Schulplätze für die 17- bis 21-Jährigen. 250 von ihnen hätten Anspruch auf einen Platz an einem Oberstufenzentrum, doch nur 70 haben einen Platz. Auch an sozialpsychologischer Hilfe fehle es an allen Ecken und Ende.„Wir schaffen hier eine kranke Parallelgesellschaft“, sagt Kretschmer.

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