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Politik: Kirche macht Lobbyarbeit in Karlsruhe

Gemeinsames „Foyer“ für Kontakt zu Gerichten

Berlin/Karlsruhe - Die Kirchen wollen anscheinend ihren Einfluss auf die Rechtsprechung in Deutschland verstärken. Seit dieser Woche gibt es in Karlsruhe, dem Sitz von Bundesverfassungsgericht und Bundesgerichtshof, eine Vertretung beider Kirchen. Das „Karlsruher Foyer Kirche und Recht“, das der Rechtsreferent der evangelischen badischen Landeskirche und der Chef des katholischen Bildungszentrums in Karlsruhe gemeinsam leiten, hat 13 Richterinnen und Richter der höchsten Gerichte zur Mitarbeit gewonnen. Sie bereiten mehrmals im Jahr Treffen zu Themen vor, die „für die christlich geprägte Lebenskultur des Landes bedeutsam“ sind, etwa Abtreibung, Strafrecht und Ethik, Stammzellforschung und Sterbehilfe.

Den Verdacht kirchlichen Lobbyismus in Karlsruhe weisen die Beteiligten von sich. Zudem ist die Karlsruher Stelle förmlich Sache der örtlichen Kirchen. Zur Einweihung hielt allerdings der Vorsitzende der katholischen Deutschen Bischofskonferenz, Kardinal Lehmann, eine Grundsatzrede über das Verhältnis von Staat und Kirche, in der er ungewöhnlich offen forderte, den traditionellen Vorrang der Kirchen im deutschen Staatskirchenrecht nicht anzutasten. Der Sprecher der badischen Landeskirche, Marc Witzenbacher, verweist denn auch darauf, dass dieses Thema „sicher der Generalbass“ für das Karlsruher Foyer werde. Auch dessen katholischer Leiter Tobias Licht bestätigt, man werde sich „nicht auf Ethik beschränken“. Die von den Badenern verantwortete Stelle sei „eigentlich Bundesangelegenheit“ und katholischerseits auch zwischen Freiburgs Erzbischof Zollitsch und dem Vorsitzenden der Bischofskonferenz abgesprochen.

Tatsächlich sind die Kirchen durch die Einwanderung von Muslimen, die Säkularisierung und schwindende Mitgliederzahlen unter Druck geraten. Zugleich haben die Gerichte vermehrt über Verfahren mit religiösem Bezug zu entscheiden, etwa wenn es um Schulpflicht, Kopftuchverbote oder religiöses Schlachten (Schächten) geht. Schon der Beschluss der Verfassungsrichter 1995 zum Verbot von Kruzifixen in Klassenzimmern hatte eine teils wütende Debatte ausgelöst. Kirchensprecher Witzenbacher verwies darauf, dass der Wunsch nach regelmäßigen Gesprächen aus den Gerichten an die Kirchen herangetragen worden sei.

Dabei dürfte es nicht immer Konsens geben: Der Präsident des Bundesverfassungsgerichts, Hans-Jürgen Papier, gestand in seiner Erwiderung auf die Rede des Kardinals Kirchen und Christentum zwar „überragende Prägekraft“ zu. Der Staat habe aber „die Glaubensfreiheit“ zu fördern. Papier forderte einen „offenen Dialog der Kirchen mit anderen Religionsgemeinschaften“. Deren „aktive Einbindung in das Gemeinwesen“ werde an Bedeutung gewinnen. Auf die These Lehmanns, Muslime dürften vorerst nicht die Privilegien der Kirchen erhalten, ging er nicht ein. Indirekt forderte er aber Zurückhaltung bei weiteren Kopftuchverboten. Das Verfassungsgerichtsurteil, das Verbote per Landesgesetz ermöglicht, sofern auch Symbole anderer Religionen damit erfasst werden, nannte er einen „Paradigmenwechsel“ hin zu einer strikteren Neutralität im Verhältnis des Staates zur Religion. „Eine Verbannung alles Religiösen aus dem öffentlichen Raum hätte den Charakter einer Konfliktverdrängungsstrategie“, warnte Papier. Andrea Dernbach

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