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Politik: Kissingers "Kriegsverbrechen"

Henry Kissinger, von 1969 bis 1973 nationaler Sicherheitsberater und von 1973 bis 1976 Außenminister der Präsidenten Richard Nixon und Gerald Ford, war der Chefarchitekt der amerikanischen Außenpolitik. Er personifiziert eine Mischung aus diplomatischer Brillanz und politischem Realismus.

Henry Kissinger, von 1969 bis 1973 nationaler Sicherheitsberater und von 1973 bis 1976 Außenminister der Präsidenten Richard Nixon und Gerald Ford, war der Chefarchitekt der amerikanischen Außenpolitik. Er personifiziert eine Mischung aus diplomatischer Brillanz und politischem Realismus. Dem außenpolitischen Sendungsbewusstsein Woodrow Wilsons stand der heute 77-Jährige ebenso distanziert gegenüber wie militärischer Kraftmeierei oder dem ideologisierten Antikommunismus der politischen Rechten. Vielmehr suchte er eine Balance zwischen Amerikas Interessen und globaler Verantwortung.

Der Mettermarck des 20. Jahrhunderts

Auf diesem Hintergrund wurde er in der Tradition von Metternich und Bismarck zum "Mettermarck" des 20. Jahrhunderts. Doch in Krisenzeiten blieb er nicht immer in der politischen Mitte, sondern sympathisierte bisweilen mit der politischen Rechten - nicht immer einsichtig und nicht immer mit Geschick. Seitdem lassen sich Bücherregale mit klugen und kritischen Analysen seiner Außenpolitik füllen. Doch Christopher Hitchens Buch passt nicht in das Regal traditioneller Kritik. Er geht sehr viel weiter.

Der Autor wirft Kissinger vor, mit undemokratischen Mitteln undemokratische Ziele verfolgt und undemokratische Staatschefs in der Welt unterstützt zu haben: Als Doppelagent der südvietnamesischen Regierung und als Berater des Präsidentschaftskandidaten Nixon habe Kissinger die Verhandlungen zwischen Nordvietnam und der Regierung Johnson hintertrieben. Im September 1970 sei von Kissinger die Ermordung des chilenischen Armeegenerals Schneider angeordnet worden. Im Zypernkonflikt habe er die Pläne der griechischen Militärjunta gebilligt, den zypriotischen Erzbischof Makarios abzusetzen und zu ermorden. Außerdem seien von ihm die Pläne der indonesischen Militärjunta unter Führung von General Suharto unterstützt worden, Ost-Timors Unabhängigkeitsbestrebungen 1975 durch Einsatz von Militär niederzuschlagen. Er trage so Mitverantwortung für das indonesische Massaker an etwa 200 000 Timoresen. Schließlich habe Henry Kissinger 1970 die Ermordung des demokratisch gewählten pakistanischen Staatschefs Mujibur Rachman durch die pakistanische Militärjunta unter Führung von General Yahya Khan hingenommen.

So lautet die Anklageschrift, wobei Hitchens sich "nur" auf die erkennbaren Verbrechen konzentriert. Das ist starker Tobak. Wie reagiert man als Leser? Zunächst verblüfft. Hitchens giftige Polemik ist süffig; er kann schreiben. Seit vielen Jahren hat er Erfahrung mit dem Sockelsturz von Ikonen des öffentlichen Lebens, wie seine Bücher über Prinzessin Diana, Mutter Theresa und Präsident Clinton zeigen.

Um es vorwegzunehmen: Christopher Hitchens schießt weit über das Ziel hinaus. Kissingers Antikommunismus war zwar ziemlich stark ausgeprägt, das ist aber nichts Neues. Natürlich suchte er Allendes Wahl zum Präsidenten von Chile zu verhindern. Auch wurde in Washington ein Putsch und ein Plan zum Kidnapping General Schneiders von der CIA wohl erwogen. Aber es gibt keinerlei Beweise, dass Kissinger die Ermordung von Schneider selbst angeordnet hat. Allerdings bleibt manches im Dunkeln, weil Kissinger selbst seine Akten nicht freigibt. Nur mit Blick auf Vietnam hat Kissinger in seinen Memoiren die amerikanische Politik selbstkritisch untersucht.

Hitchens suggeriert, dass Kissinger allein Verantwortung getragen habe, doch der Präsident der Vereinigten Staaten hat die Verantwortung für Amerikas Außenpolitik. Kissinger war als nationaler Sicherheitsberater und als Außenminister nur ein Teil, wenn auch ein zentraler, des außenpolitischen Establishments und des Entscheidungsprozesses. Hitchens Behauptungen über Kissingers Verantwortung mit Blick auf Zypern und Bangladesh können ebenfalls nicht überzeugen. Zwar schätzte Kissinger Yahya Khan als außenpolitischen Vermittler gegenüber China, doch dies allein ist kein Beweis für Kissingers Zustimmung zur pakistanischen Invasion in Bangladesh.

Diabolischer Master-Mind?

Kissingers Charakterisierung als diabolischer "Master-Mind" wirkt deshalb deplatziert. Doch es kommt noch ärger: "Kissinger weiß, was andere nur vermuten", so Hitchens. Dies ist eine Ungeheuerlichkeit, weil er damit eingesteht, dass er auf Vermutungen setzt und suggeriert, dass nicht er die Beweise, sondern Kissinger Gegenbeweise erbringen müsste, um nicht als Kriegsverbrecher abgeurteilt zu werden.

Hier wird Rufmord betrieben. Die Beweise fehlen. Unterstellungen und Behauptungen müssen in der Regel herhalten. Hitchens zeigt darüber hinaus weder Kenntnis noch Interesse zum nötigen Ausleuchten des außenpolitischen Hintergrunds, der historischen Zusammenhänge und der weltpolitischen Konstellationen, geschweige denn Interesse an Henry Kissingers Außenpolitik als Ganzes. Ihm geht es auch nicht um den Gesamtkontext der USA im Kalten Krieg, um die Fragen von Sinn und Unsinn von Antikommunismus oder Dominotheorie. Hichtchens ist offenkundig nicht an Aufklärung interessiert, nicht am Verständnis - er will Kissinger hinrichten.

Dabei kommt ihm allerdings die politische Verantwortung als Publizist abhanden, denn er überschreitet die Grenzen von Takt, Moral und wissenschaftlicher Seriosität. Doch die wirklich beängstigende Frage lautet: Trägt Hitchens so viel Hass in die öffentliche Diskussion, dass sogar gefährliche Wirkungen entstehen könnten? Hetzschriften sind in der Geschichte nicht selten Auslöser für politischen Mord geworden, wie in der Weimarer Republik der Mord an Walther Rathenau und Matthias Erzberger exemplarisch zeigen. In den Vereinigten Staaten führte politischer Hass etwa zum Mord an John F. und Robert Kennedy sowie an Martin Luther King in den 60er Jahren.

Wenn Hitchens Buch zum Vorbild für die Analyse amerikanischer Außenpolitik und ihrer führenden Repräsentanten werden wollte, dann dürfen wir uns kaum wundern, wenn nicht nur die Gier nach Sensationen weiter wächst. Die Ereignisse und Folgen nach dem 11. September in den USA zeigen, dass sich fanatische Attentäter auf Hasstiraden jeder Art stützen, in dem "guten Glauben", nur der Weltgerechtigkeit gedient zu haben. Unverantwortliches lässt sich nur schwer vorstellen.

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