zum Hauptinhalt

Politik: Klima der Angst in Kabul

Der Rückhalt für Präsident Karsai nach der Friedens-Dschirga in Afghanistan ist offenbar geringer als zunächst angenommen

Berlin - Hamid Karsai hat bekommen, was er wollte. Die knapp 1400 afghanischen Delegierten der Ratsversammlung in Kabul haben sich am Freitag hinter seinen Friedensplan für eine Aussöhnung mit den Taliban gestellt. Aus seiner Sicht hat Afghanistans Präsident damit auch alle Zweifel an der Rechtmäßigkeit seiner Herrschaft ausgeräumt, die ihn seit der umstrittenen Präsidentschaftswahl verfolgt hatten. Ein Blick hinter die Kulissen der traditionellen Dschirga macht aber deutlich, dass seine Legitimationsbasis nach wie vor schwach ist. Nicht nur viele der geladenen Parlamentarier blieben der Veranstaltung fern, selbst Verbündete machten sich rar. So fehlte der einflussreiche Usbekenführer Raschid Dostum ebenso wie wichtige Vertreter der Hasara-Minderheit. „Das hat Karsai sehr geschadet“, sagt Bente Scheller, Vertreterin der Heinrich-Böll-Stiftung in Kabul. Beide Gruppen hatten Karsai bei der Wahl noch unterstützt.

Zu der Dschirga waren auch Gouverneure, Stammesvertreter, Repräsentanten der Wirtschaft, Flüchtlinge und andere soziale Gruppen eingeladen worden. Bis zu 200 ausländische Gäste erhielten einen Beobachterstatus. Nach Auskunft Schellers „tat Karsai alles“, um die Veranstaltung „unter Kontrolle zu halten“. Ausländische Medienvertreter seien teilweise ausgeschlossen oder in ihrer Berichterstattung massiv behindert worden. „Sie konnten nicht frei mit Delegierten sprechen“, weiß Scheller. Einige deutsche Journalisten erhielten erst Zugang, nachdem die deutsche Botschaft bei den afghanischen Behörden interveniert hatte.

Nur eine Botschaft sollte das Tagungszelt verlassen: Die Delegierten stehen geschlossen hinter der Regierung und ihrem Friedensplan. Konkret soll Karsai Verhandlungen mit den Aufständischen führen und ist nun unter anderem autorisiert, ihnen eine Amnestie anzubieten.

Innerhalb der Bevölkerung gibt es aber durchaus Kritik an diesem Kurs. Im Mai tagte in Kabul eine weitere Dschirga mit dem Titel „Versammlung der Opfer für Gerechtigkeit“, zu der 25 zivile Organisationen eingeladen hatten. Dort schilderten Opfer des langen afghanischen Bürgerkriegs Menschenrechtsverletzungen aller beteiligten Fraktionen, nicht nur der Taliban. Diese Versammlung forderte, Kriegsverbrechen aufzuklären und die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Eine Amnestie, wie sie bereits für Verbrechen aus der Zeit vor dem Sturz der Taliban existiert, lehnen sie ab. „Ohne juristische Aufarbeitung wird es keinen dauerhaften Frieden in Afghanistan geben“, heißt es in einer am 10. Mai veröffentlichten Presseerklärung.

Immer weniger Afghanen indes sind bereit, die Regierung offen zu kritisieren. „Es herrscht zunehmend ein Klima der Angst“, berichtet Scheller von der Böll-Stiftung. Sollten die Taliban auf die politische Bühne zurückkehren, dürfte sich die Atmosphäre weiter verschlechtern. Die Taliban, glaubt Kamal Dalili von der European Foundation for Democracy in Brüssel, hätten zwar realisiert, dass sie Afghanistan nicht mehr beherrschen könnten, sie wollten aber eine Rolle in Kabul spielen. Allerdings zweifelt der Afghane, dass dies in naher Zukunft passieren könnte: „Es gibt zu viele Gruppen, die unterschiedliche Forderungen haben, das macht Verhandlungen schwierig.“

Zur Startseite

showPaywall:
false
isSubscriber:
false
isPaid:
showPaywallPiano:
false