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Was wird das alles kosten? Sozialministerin Leyen will Geringverdienern bis zu 850 Euro Rente pro Monat zahlen. Die FDP glaubt, dass 700 Euro reichen.

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Koalitionsgipfel-Beschluss: Die tückischen Details der Lebensleistungsrente

Die Lebensleistungsrente ist beschlossen – doch über ihre Obergrenze wird in der Koalition gestritten.

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Nach dem Koalitionsgipfel, sagt ein alter Erfahrungssatz, ist vor dem Streit. Dass die Regel auch diesmal ohne Ausnahme bleiben würde, hat dem FDP- Vorsitzenden Philipp Rösler vermutlich schon Stunden nach dem schwarz-gelben Spitzentreffen geschwant. Rösler war beim ARD-„Morgenmagazin“ als Gesprächspartner gebucht, um dort freidemokratische Erfolge zu verkünden. Direkt nach ihm indes stand Ursula von der Leyen auf dem Programm.

Die Arbeitsministerin feierte ebenfalls einen Erfolg: „Die Sieger dieses Gipfels, das sind die Geringverdiener.“ Dies mochte sich noch mit der liberalen Auslegung der Koalitionsbeschlüsse gegen Altersarmut in der Rente decken. Doch nur ein paar Stunden später verkündete die CDU-Politikerin ihre Lesart der nächtlichen Einigung. Und seither herrscht – nicht nur in der FDP – mal wieder mächtig Ärger über Leyen.

Der Zorn entzündet sich daran, dass die Ministerin den Koalitionsbeschluss kurzerhand zur Variante ihrer weithin kritisierten „Zuschussrente“ erklärte und obendrein verkündete, die geplante „Lebensleistungsrente“ werde auf eine Aufstockung auf etwa 850 Euro hinauslaufen. Das ist exakt die Summe, mit der die Ministerin ihre Zuschussrente plante.

Dass die Ministerin den Koalitionsbeschluss derart „gekapert“ habe, irritierte nicht nur die FDP. Im Fraktionsvorstand von CDU und CSU löste das Vorpreschen der Parteifreundin schon am Montagabend Empörung aus. Fraktionschef Volker Kauder (CDU) kleidete seine Rüge in den Hinweis, über das Thema entscheide am Ende das Parlament – und er rate jedem, da nicht vorzugreifen. Aus Bayern meldete sich die Landessozialministerin Christine Haderthauer am Dienstag mit der Warnung, man dürfe den Koalitionsbeschluss nicht „in Richtung Zuschussrente uminterpretieren“. Und die Chefin der CSU-Landesgruppe, Gerda Hasselfeldt, sagte kurz angebunden: „Ich hätte keine Zahl genannt.“

Diese Zahl, die 850 Euro, sind nämlich ein Problem. Im Beschluss der Koalition steht davon nichts. Dort findet sich nur der vage Satz, dass für Menschen mit kleinem Rentenanspruch und langer Lebensleistung die „Grenze der Höherbewertung ... knapp oberhalb der Grundsicherung“ zu liegen habe. Nicht in dem Papier zu finden ist indes die Antwort auf die Frage: Welche Grundsicherung? Die Sozialleistung, auf die jeder im Rentenalter mindestens Anspruch hat, selbst wenn er nie gearbeitet hat – diese Leistung ist vom jeweiligen Wohnort abhängig. Im teuren Wiesbaden beträgt sie derzeit 811 Euro, andernorts fällt sie deutlich niedriger aus.

Ob dieses wichtige Detail den Partei- und Fraktionsspitzen in der Nacht im Kanzleramt bewusst war, ist schwer zu sagen. Leyen jedenfalls interpretierte den Beschluss sofort so, dass nur die höchste bundesweit gezahlte Grundsicherung gemeint sein könne. Egal wo jemand wohne – wer die geforderten 40 Rentenbeitragsjahre plus private Vorsorge vorweisen könne, dessen Niedrigrente müsse auch über das Wiesbadener oder Starnberger Grundsicherungsniveau angehoben werden können.

Das sehen andere in der Koalition anders. Der Rentenbeschluss sei sehr weit gefasst und müsse nun noch in allen Einzelheiten diskutiert werden, sagt der CSU-Sozialpolitiker Max Straubinger. Für ihn ist aber klar, dass die Rentenaufstockung genauso wie die Grundsicherung regional den Lebenshaltungskosten angepasst werden muss. So scheint das auch die CDU-Spitze verstanden zu haben. Generalsekretär Hermann Gröhe jedenfalls hatte am Montag erläutert, eine „Lebensleistungsrente“ in Höhe von 850 Euro sei in manchen Großstädten denkbar.

Noch einmal völlig anders deutet die FDP den Koalitionsbeschluss. Ihr Rentenexperte Heinrich Kolb wirft der CDU-Ministerin vor, sie versuche die Vereinbarung vom Sonntag offenbar „so hinzudrehen, dass am Ende wieder die Zahlen aus ihrem Zuschussrentenkonzept herauskommen“. Kolb aber besteht darauf, dass man als Basis für die Aufstockung nur den bundesweit durchschnittlichen Grundsicherungsbetrag zugrunde legen müsse. Der liegt gegenwärtig bei 688 Euro – und davon, sagt Kolb, sei man bei dem Koalitionsbeschluss fest ausgegangen.

Wenn diese Lesart stimmen sollte, für die Kolb die Rückendeckung seiner Parteiführung hat, hätte das allerdings eine bemerkenswerte Konsequenz. Der Liberale benennt sie ganz offen: „Das würde bedeuten, dass man in bestimmten Gegenden mit der Rentenaufstockung unterhalb des dort geltenden Grundsicherungsniveaus bleibt.“ Mit anderen Worten: Wer als Geringverdiener zufällig in Gegenden mit niedrigen Lebenshaltungskosten wohnt, müsste als Rentner nicht zum Sozialamt. Der genauso arme Rentner in Wiesbaden hingegen hätte von dem Koalitionsbeschluss praktisch nichts.

Welche Lesart am Ende den Weg ins Gesetzblatt findet, ist offen. Nur eines scheint sicher: So ganz schnell geht das nicht. Leyen hatte zwar erklärt, wenn es nach ihr ginge, könnte ein angepasster Gesetzentwurf sehr rasch im Bundestag beraten werden. Doch nun bremsen die Parlamentarier. „Gründlichkeit geht vor Schnelligkeit“, sagt Kolb – es würde keinen Schaden anrichten, wenn die Rentenreform erst im nächsten Jahr fertig werde. Und CSU-Frau Hasselfeldt findet zwar, dass Leyen nach wie vor die richtige „Moderatorin“ in dieser Frage sei. Sie betont aber auch: „Bei der Rente will ich mich nicht unter Zeitdruck setzen.“

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