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Merkel sieht sich harscher Kritik ausgesetzt: wenig Forderungen, wenig Engagement.

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Update

Koalitionsverhandlungen: Fehlstart in Aussicht?

Die Parteichefs treten auf die Kostenbremse. Vor allem in der CDU wächst die Furcht vor einem Fehlstart.

Von Robert Birnbaum

Peter Altmaier ist gleich frühmorgens im Beichtstuhl an der Reihe. Dabei ist der Umweltminister aus Sicht seiner Parteioberen bisher gar kein koalitionärer Problemfall. Aber Angela Merkel und Horst Seehofer haben am Donnerstag einfach alle CDU- und CSU-Verhandlungsführer zum Rapport ins Konrad- Adenauer-Haus bestellt. Die Einvernahme erschien dringlich. Die Koalitionsverhandlungen mit der SPD drohen der Union aus dem Ruder zu laufen.

Vordergründig geht es vor allem ums Geld. In manchen Arbeitsgruppen sind munter Abmachungen ausgehandelt worden, über deren Finanzierbarkeit sich kein Mensch Gedanken machte. Fachpolitiker seien sich eben schnell über das Wünschbare einig, seufzt ein Christdemokrat – und zwar unabhängig vom Parteibuch. Eigentlich sollte die Steuerungsgruppe der Generalsekretäre und des Kanzleramtschefs Ronald Pofalla solche Wünsch-dir-was-Orgien unterbinden. Doch inzwischen wird offen eingeräumt: „Das hat nicht funktioniert.“

Also haben am Dienstag erst Seehofer, dann Merkel und später in der großen Koalitionsrunde auch SPD-Chef Sigmar Gabriel die Notbremse gezogen und eindringlich angemahnt, vor jedem kostenträchtigen Beschluss den Blick aufs Ganze zu werfen. Theoretisch steht jeder geldwerte Posten ohnehin in eckigen Klammern und kann im Laufe der Verhandlungen wieder gestrichen werden. Aber von diesen Feinheiten weiß das breite Publikum nichts. „Die lesen jeden Tag in der ,Bild’-Zeitung von vereinbarten Wohltaten“, ärgert sich ein Christsozialer. Wenn das alles dann in drei, vier Wochen plötzlich nicht mehr gelte, drohe ein Fehlstart mit Merkel, Seehofer und Gabriel als finsterem Streichtrio.

Hinter dem Ärger ums Geld steckt aber noch ein viel diffizileres Problem. Als Merkel und Fraktionschef Volker Kauder am Dienstag der Unionsfraktion einen Zwischenbericht gaben, sahen sie sich einer ganzen Serie empörter Wortmeldungen gegenüber. Die Riege der CDU-Wirtschaftspolitiker übte harsche Kritik: Die Gewerkschaften könnten bisher hochzufrieden sein, aber wo bleibe der Mittelstand? „Auch wir haben eine Basis“, rief die Abgeordnete Britta Connemann. Das war ein kaum verdeckter Vorwurf an die eigene Führung: Ihr nehmt die Angst der SPD vor deren Mitgliederentscheid ernster als unsere ureigenen Anliegen.

"Weiter so" - ein leeres Wahlversprechen?

Nun ist der CDU-Wirtschaftsflügel im Klagen über seine eigene Bedeutungslosigkeit geübt. Aber die Kritik artikulierte ein allgemeines Unwohlsein. Bei vielen CDU-Politikern geht die Sorge um, dass die CSU die Koalitionsagenda mit populären Themen wie der Pkw-Maut dominiert und die SPD mit Großthemen wie dem Mindestlohn, während der eigentliche Wahlsieger CDU kaum vorkommt.

Am Ende könnte dann ein Vertrag stehen, der zwar auf vielen Seiten generell den Geist der Union atmet, aber auf jeder Seite von einem halben Dutzend konkreter SPD-Fußnoten begleitet wird – hier eine Mietpreisbremse, da etwas weniger Geheimnistuerei in der Rüstungskontrolle. Alles keine großen Sachen, aber in der Summe doch deutlich mehr, als das SPD-Wahlergebnis eigentlich hergäbe. Obendrein sind diese Abweichungen von Merkels zentralem „Weiter so“-Wahlversprechen für die Öffentlichkeit viel interessanter als das Bekannte, wodurch der SPD-Anteil noch größer wirkt.

"Angie"-Wahlkampf ohne Forderung

Das Argument, dank der Union gebe es keine Steuererhöhungen, nutzt sich da langsam ab. Der Streit scheint erledigt, zumal die SPD die Fortsetzung verweigert – sie nimmt das S-Wort nicht mehr in den Mund. Und außerdem, sagt ein Unionsmann: „Es kann ja nicht sein, dass die Union nur darauf verweist, was sie alles verhindert hat.“ Andererseits hat die CDU im „Angie“-Wahlkampf kaum eine konkrete Forderung erhoben. Dass sie nun wenig ehrgeizig wirkt im Vergleich zur veränderungslustigen Ex-Opposition, ist auch eine Folge dieser Strategie.

Merkel registriert die Unruhe, hält sie aber im Moment für übertrieben. Was die Verhandlungserfolge der SPD angehe, sagt einer aus der CDU-Spitze: „Da würde ich gönnen können, solange die Hauptlinien stimmen.“ Um diese Linien ging es im Adenauer-Haus; „Leitfäden“ wollten Merkel, Seehofer und die engere Unionsführung ihren Verhandlern mitgeben. Kein einfaches Vorhaben, zumal sich beim wichtigen Thema Europa schon gezeigt hat, dass CDU und CSU an unterschiedlichen Strippen ziehen. Seehofer hat die Europawahl im Frühjahr fest im Blick. Auch vor diesem Hintergrund räumen sich die Chefs jetzt schon mehr Zeit für die Schlussrunde ein. Im November waren der 26. und 27. als letzte Verhandlungstage und -nächte vorgeplant; inzwischen kommt der 25. dazu.

Arbeitsgruppe Finanzen einigt sich auf kleine Nenner

Am Donnerstagabend lieferten weitere Arbeitsgruppen erste Teilergebnisse. So einigten sich Union und SPD in der Gruppe "Finanzen" auf Grundzüge für die weitere Regulierung der Finanzmärkte. Mehrere Teilnehmer sagten , man werde sich klar zum Erhalt des dreigliedrigen deutschen Bankensystems aus Privatbanken, Sparkassen und genossenschaftlichen Instituten bekennen. Zudem würden die Initiativen auf europäischer Ebene etwa zur Regulierung des Hochfrequenz-Börsenhandels unterstützt. Beides waren nie wirklich umstrittene Themen. In der Steuerpolitik kamen sich beide Seiten aber bisher kaum näher.

Die Union sprach sich klar gegen jede Form von Steuererhöhungen ausgesprochen und zählt dazu auch den Abbau von Steuervergünstigungen oder Einschränkungen bei der Unternehmensbesteuerung. Hier hatte die SPD umfangreiche Forderungen aufgestellt. Nach der Runde hieß es in SPD-Kreisen laut der Nachrichtenagentur Reuters: "In der substanziellen Frage - dem Abbau von Steuerprivilegien - treten wir regelrecht auf der Stelle.“

Bei der Öko-Energie soll der Rotstift regieren

Beim Thema Energie geht die Union in der Offensive. Auch am Donnerstag lancierte das CDU-geführte Bundesumweltministerium neue Reformpläne, die bei den Anlagenherstellern von Windrädern und Biomasseanlagen für Entsetzen sorgen, aber helfen könnten, die EU-Kommission zu überzeugen, dass das Ökostrom-Fördersystem hierzulande nicht gegen Wettbewerbsrecht verstößt. In der Mission reisten auch die Vorsitzenden der Koalitionsgruppe "Energie", Umweltminister Peter Altmaier (CDU) und NRW-Landeschefin Hannelore Kraft (SPD), am Donnerstag zu EU-Wettbewerbskommissar Joaquín Almunia, freilich ohne ein greifbares Ergebnis nach dem Gespräch zu präsentieren. Der Kommissar drängt auf eine grundlegende Reform des Erneuerbare Energien Gesetzes (EEG) - und zumindest Altmaier will die wohl liefern.

Offenbar will er die Fördersätze für die Ökostromerzeuger radikal kürzen. Zudem soll der Strom muss erstmals von allen Anlagen-Betreibern selbst vermarktet werden anstatt wie bisher von den Netzbetreibern. Dies dürfte den Bau neuer Anlagen weiter erschweren. "Überförderungen werden wir schnell und konsequent bei Neuanlagen abbauen“, heißt es in dem Vorschlag der Union für den Koalitionsvertrag, der Reuters am Donnerstag vorlag. “In einem ersten Schritt werden wir bei windstarken Standorten daher die Fördersätze deutlich senken, um den Zubau kostengünstiger zu gestalten“, heißt es mit Blick auf die Belastungen für die Verbraucher weiter. “Außerdem werden wir die Förderung bundesweit auf die guten Standorte konzentrieren.“ Altmaier distanziert sich zudem von den ehrgeizigen Zielen für Offshore-Wind.

Eine Zustimmung der SPD zu dem Plan stand bis zum späten Donnertag noch aus. Allerdings sollen die SPD-Unterhändler grundsätzlich bereit zu Einschnitten bei der Förderung der Windenergie erklärt haben.

Während nach den zahlreichen Einschnitten der Vergangenheit bei der Solarenergie kaum Veränderungen geplant sind, hat Altmaier nach Angaben aus Branchenkreisen auch die Biogas-Anlagen im Visier. So wolle er den Einsatz von Mais deutlich einschränken und so den massenweisen Anbau der Pflanze begrenzen. Zudem wolle er damit die Diskussion über die Konkurrenz von Energiepflanzen zu Nahrungsmitteln entschärfen.

Die Grünen griffen Altmaier wegen der Pläne scharf an: “Er will den Ausbau der Erneuerbaren Energien auf breiter Front ausbremsen“, sagte Energie-Experte Oliver Krischer. Ein Ziel von 50 Prozent Ökostrom bis 2030 heiße nichts anderes, als das Ausbautempo der vergangenen Jahre zu halbieren.

mit Reuters, kph

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