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Kritiker sehen die Totenruhe gestört, wenn Gunther von Hagens die Körper ausstellt. Der 69-Jährige ist seit vielen Jahren an Parkinson erkrankt. Dieses Foto entstand 2010.

© dpa

Körperwelten-Ausstellung darf in Berlin gezeigt werden: Mehr als tote Körper

Warum es richtig ist, dass Gunther von Hagens seine plastinierten Leichen in Berlin unter dem Fernsehturm zeigen darf. Ein Kommentar

Ein Kommentar von Werner van Bebber

Es hat etwas manisches, wie sich der Anatom Gunther von Hagens mit Leichen befasst. Das mag am und im Beruf liegen, jedenfalls hat der Mann eine Mission, und diese Mission hat die „Körperwelten“ entstehen lassen. Seitdem die Ausstellung 1997 zum ersten Mal in Deutschland zu sehen war, polarisiert von Hagens’ Werk. Von dieser Wirkung hat sich das Berliner Bezirksamt Mitte offenbar in Wallung versetzen lassen. In einer Art behördlicher Zensur verbot es von Hagens, unter dem Fernsehturm eine Dauerausstellung zu eröffnen. Das war ungesetzliches Verwaltungshandeln: Die Hüter der öffentlichen Ordnung aus Mitte sind vor dem Verwaltungsgericht gescheitert.

So richtig viel scheinen sie im Bezirksamt über das Verbot nicht nachgedacht zu haben. Weit über hundert Schauen haben auf der ganzen Welt stattgefunden, auch in Städten wie der Mormonenmetropole Salt Lake City, deren Moral etwas strenger ist als die der Eventmetropole Berlin. Dreimal zeigte von Hagens seine Werke schon in Berlin. Zumindest bei jedem ersten Auftritt des sich selbst so nennenden Erlebnisanatomen irgendwo auf der Welt dürfte es heftige Debatten über seine Vorführungen toter Körper gegeben haben.

Er versteht sich als Renaissance-Anatom

Nach allem Streit um den Mann, der sich als Nachfahre der Renaissance-Anatomen versteht und als „Aufklärer eines Massenpublikums“, fiel den Bezirkspolitikern nicht anderes ein als das Berliner Bestattungsgesetz. Darin steht, dass Leichen nicht öffentlich ausgestellt werden dürfen. Die Verwaltungsrichter halfen dem Bezirksamt Mitte nun bei der Interpretation des Gesetzes und stellten fest, die plastinierten Körper seien zwar „nach dem Wortlaut des Gesetzes“ Leichen. Als solche aber habe der Gesetzgeber sie nicht erfassen wollen, als er Vorschriften für die ordentliche und amtliche Bestattung erließ.

Von Hagens plastinierte Leichen sind – Verwaltungsrichter haben durchaus Fantasie – mehr als tote Körper, die von den Lebenden mit der gebotenen Würde und unter Beachtung der 28 Paragrafen des Bestattungsgesetzes aus der Welt der Lebenden zu entfernen sind. Von Hagens tote Körper sind anatomische Objekte und als solche von wissenschaftlichem Interesse (wie auch sein Plastinationsverfahren von wissenschaftlichem Interesse ist). Die plastinierten toten Körper und Körperteile sind außerdem auch noch Kunstgegenstände. In den Körperwelten-Ausstellungen zeigt von Hagens nicht bloß, dass sein Plastinationsverfahren zumindest tote Körper unsterblich machen kann – der Anatom, der seit Jahren an der Parkinson-Krankheit leidet, führte mit den plastinierten Leichen auch vor, zu welchen Bewegungen Knochen und Muskeln die Körper mal befähigt haben.

Dass er – siehe den Streit um den „schwebenden Akt“ der Ausstellung von 2009 – die Dosis seiner Provokationen geschickt zu steigern vermochte, sollte man einem manischen Anatomen nicht verdenken. Schon damals haben sich Berliner Politiker heftig empört, schon damals bestritten sie von Hagens mit zuckenden moralischen Zeigefingern so etwas wie die Freiheit der Kunst, die ein Anatom ebenso für sich in Anspruch nehmen kann wie ein Aktmaler.

Schon seltsam, wie wenig Entscheidungsfreiheit manche Politiker dem Publikum zutrauen. Der Besuch der Ausstellung ist doch freiwillig.

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