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Bundeswehr-Kommandeur Heiko Bohnsack

© Christopher Ziedler 

Kommandeur zur Mali-Mission: „Wir sind den Terroristen militärisch haushoch überlegen“

Ein Fiasko wie beim Rückzug aus Afghanistan werde sich in Mali nicht wiederholen, sagt Oberst Heiko Bohnsack. Ein Gespräch über Sprache als Türöffner und die Lehren aus dem Kalten Krieg.

Herr Oberst, Sie kommandieren die Bundeswehrtruppen in Mali, eine Art Wüstenexpedition, dabei kommen Sie von der Küste, Ihre Eltern sind zur See gefahren. Was ist passiert, dass Sie nicht bei der Marine gelandet sind?
Ich wäre damals im Jahr 1988 ausgelacht worden, wäre ich zur Marine gegangen. In meiner Familie, die auf Handelsschiffen unterwegs war, galt die Marine nicht als echte Seefahrt. Ich erinnere mich noch gut an die Sprüche: Die fahren doch bei Windstärke 4 schon nicht mehr raus! Die brauchen für ein Schiff derselben Größe 200 Mann Besatzung, während wir mit sieben klarkommen! Ich wollte daher gar nicht zur Marine. Bei der Musterung stellte sich dann zusätzlich heraus, dass ich für die Marine untauglich war.

Nun geht der Mali-Einsatz in sein letztes Jahr. Wie gefährlich bleibt diese Mission für Ihre Truppe?
Eine direkte Konfrontation mit den Terroristen ist unwahrscheinlich, weil wir ihnen militärisch haushoch überlegen sind. Trotzdem kann immer etwas passieren. Selbst die besten Vorsichtsmaßnahmen können nicht verhindern, dass eine Sprengfalle unerkannt bleibt. Im UN-Stabilisierungseinsatz vermeiden wir es, unnötige Risiken einzugehen. Priorität hat für uns in diesem Einsatzszenario, alle Soldatinnen und Soldaten heil nach Hause zu bringen – im Zweifel muss der Aufklärungsauftrag zurückstehen. 

Wie ist die Stimmung unter den Soldatinnen und Soldaten im Wissen, dass sich der Einsatz bald dem Ende nähert?
Die Hitze ist anstrengend, aber die Stimmung ist gut. Es gibt einen vertrauensvollen Umgang untereinander, jeder will sein Bestes geben.

Das hat auch mit den Menschen in Mali zu tun. Die Armut ist teils erschreckend, Kinder spielen im Müll, wenn sie nicht gerade schuften müssen. Und trotzdem sehe ich viel Hoffnung und Lebensfreude. Das sorgt für zusätzliche Motivation, dieses Land zu stabilisieren.

Lange wird die Bundeswehr das nicht mehr tun. Wurden Sie deshalb Kommandeur, weil Sie gut Französisch sprechen und mit den Maliern Vereinbarungen zum Abzug treffen können?
Das mag am Rande eine Rolle gespielt haben. Die Landessprache kann ein Türöffner in Verhandlungen sein. Ich möchte damit vor allem auf die Menschen zugehen und ihnen erklären, was wir Deutsche hier tun und auch in Zukunft mit unserer Entwicklungszusammenarbeit tun werden.

Ein langsames Abschmelzen, zunächst ohne Fähigkeitsverluste, hat begonnen.

Heiko Bohnsack

Das offizielle Mandat für den Truppenabzug bekommen Sie erst jetzt. Haben Sie ihn dennoch schon inoffiziell eingeleitet?
Wir erwarten das Bundestagsmandat im Mai. Ich denke, das ist auch klar geworden beim Ministerbesuch.  Unter Berücksichtigung unserer Zusagen an die Vereinten Nationen haben wir bereits damit angefangen, einzelne Komponenten aus Mali abzuziehen. Die Bundeswehr unterstützt die UN-Mission aber wie vereinbart. Ein langsames Abschmelzen, zunächst ohne Fähigkeitsverluste, hat begonnen.

Und wann beginnt der „echte“ Abzug?
Wir achten penibel auf die Einhaltung unserer Zusagen. Die Vereinten Nationen können noch auf unsere Heron-Aufklärungsdrohne zurückgreifen. Transporthubschrauber stehen voraussichtlich bis ins nächste Jahr hinein zur Verfügung. Aufklärungsmissionen am Boden wird es im Herbst und Winter ebenfalls noch geben.

Jetzt wissen wir, was alles vorerst bleibt. Aber was geht?
Wir verfügen über spezielle Fähigkeiten, die kein anderes Land nach Mali mitgebracht hat. Wie wir sie bereitstellen, ist uns überlassen. Wir können sie also langsam ausdünnen und erfüllen den Auftrag trotzdem noch. Sogenannte Multi-Sensor-Operationen, mit denen wir für die UN-Blauhelmtruppe die Lage vom Boden und aus der Luft analysieren, können per Definition aus sechs Sensoren bestehen oder aus zwei.

Was müssen Sie beim Abzug noch bedenken?
Natürlich können wir nicht wie mit dem Rasenmäher alle Fähigkeiten immer weiter stutzen. Um im Bild zu bleiben: Irgendwann muss man die ganze Pflanze aus dem Beet nehmen und umtopfen, also ganze Einheiten abziehen. Die Stimmung in der Truppe darf dabei nicht kippen. Ein ausgebildeter Aufklärer wird sicher eine begrenzte Zeit auch Material zum Rücktransport nach Deutschland vorbereiten, aber nicht ewig.

Heiko Bohnsack begrüßt am Flughafen Gao Verteidigungsminister Boris Pistorius und Entwicklungsministerin und Svenja Schulze (beide SPD).
Heiko Bohnsack begrüßt am Flughafen Gao Verteidigungsminister Boris Pistorius und Entwicklungsministerin und Svenja Schulze (beide SPD).

© dpa/Michael Kappeler

Wie sehr diktieren die Transportkapazitäten den Ablauf?
Unsere Logistiker vollbringen eine Meisterleistung. Ein solches Unterfangen mit privaten Vertragspartnern zu organisieren, ist in Afrika nicht unbedingt einfacher als in Deutschland. Allein sicherzustellen, dass für den Luftumschlag in Nigers Hauptstadt Niamey stets genug Flugzeuge landen, damit Platz geschaffen wird für nachrückendes Gerät aus Gao, ist eine Mammutaufgabe. Es geht um etwa 1.300 sogenannte Containeräquivalente, in einen Riesenflieger passen gerade einmal drei.

Was kommt mit, was bleibt da?
Alles Sicherheitsempfindliche kommt mit – Waffensysteme, die Munition. Wir lassen auch nichts zurück, was Spione interessieren könnte: Fernmeldegeräte, Computer oder optisches Gerät. Zurück lassen wir nicht sicherheitsrelevante Dinge wie handelsübliche Autos die inzwischen ziemlich abgerockt sind, wenn ich das so salopp sagen darf. Da wäre der Transport teurer als der Restwert. Unsere Schlafcontainer bleiben hier. Die festen Gebäude wollen wir ohnehin mit dem Gelände an die UN übergeben.

Welche Gefahren lauern bis dahin? Verstehen Sie, wenn der angekündigte Truppenabzug Erinnerungen an das Fiasko in Afghanistan weckt, wo Sie ebenfalls gedient haben?
In beiden Ländern kann es sehr heiß werden, und in Afghanistan haben wir dieselbe Uniform getragen wie jetzt in Mali. Abgesehen davon sind die Einsätze wirklich nicht vergleichbar. Das ist ein himmelweiter Unterschied.

Tausende Afghanen versammelten sich im August 2021 am Flughafen von Kabul, weil sie hofften, mit einer der Militärmaschinen ausreisen zu können.
Tausende Afghanen versammelten sich im August 2021 am Flughafen von Kabul, weil sie hofften, mit einer der Militärmaschinen ausreisen zu können.

© dpa/AP/Shekib Rahmani

Warum?
Wir sind hier Teil einer Blauhelmmission, zuständig für die Aufklärung, nicht den Anti-Terror-Kampf. Die UN-Truppe wird bleiben, nachdem wir gegangen sind; und ebenso die malischen Sicherheitskräfte. Allein deshalb ist die Gefahr nicht groß, dass das Land den Terroristen in die Hände fällt. Die malischen Streitkräfte agieren sehr selbstbewusst und eigenständig.

Die Terroristen sind also mit einem stärkeren Gegner konfrontiert?
Sie sind selbst auch weniger schlagkräftig. In Afghanistan hat am Ende die Islamische Republik Afghanistan gegen das Islamische Emirat Afghanistan verloren, da ging es um andere Kräfteverhältnisse. In Mali gleichen Kampfhandlungen eher lokal begrenzten Operationen. In Afghanistan gab es richtige Feuergefechte – ein Kampfhubschrauber kam dort nach nur 20 Minuten wieder ohne Munition zurück. In Mali starten und landen ebenfalls Kampfflugzeuge, aber ihre Einsätze sind seltener und finden in größerer Entfernung statt.

Wird es auf der die Schlussetappe dennoch besonders heikel, wenn die letzten Soldaten in den Flieger steigen?
Ich habe ja bereits erwähnt, dass die UN-Truppen bleiben werden. Es wird Sicherungskräfte anderer Nationen am Airport geben – auch Malis Armee sorgt dafür, dass alles gut läuft.

Ob der demokratische Übergang gelingt, entscheidet darüber, ob wir am Ende einen guten Beitrag geleistet haben oder nicht. Das liegt nun in den Händen der Malier.

Heiko Bohnsack

Erklären Sie uns doch bitte das schizophren anmutende Verhältnis zu Malis Armee. Ursprünglich bildete man sie für den Anti-Terror-Kampf aus. Nach dem Putsch der Militärs schränkten sie den deutschen Einsatz mit verweigerten Überflugrechten so ein, dass Sie nun abziehen. Zugleich kooperieren die Malier mit Russland. Wie passt das zusammen?
Man wollte die alte Kolonialmacht Frankreich nicht mehr im Land haben und hat mit den russischen Kräften Ersatz für den Anti-Terror-Kampf gefunden. Für die verweigerten Überflugrechte gibt es ebenfalls politische, aber auch technische Gründe. Um Unfälle im Luftraum zu vermeiden, können sich nur wenige Luftfahrzeuge gleichzeitig darin bewegen – im Zweifel wollen die Malier lieber eigene Drohnen einsetzen. Ich versuche sie aber weiter zu überzeugen, dass unsere Drohnen und Hubschrauber kein Risiko darstellen und wieder uneingeschränkt fliegen dürfen. Ohne sie ist unsere Aufklärungsoperation doch sehr limitiert.

Selbst wenn das noch gelingen sollte, dürfte es am Abzug nichts mehr ändern. Wer neben den UN hier in Gao bleiben wird, sind die Russen. Wie lebt es sich bisher noch Tür an Tür?
Selbst habe ich noch keine Russen getroffen. Meine Soldaten grüßen aber freundlich, wenn sie sie sehen. Es wäre auch nichts gegen Smalltalk einzuwenden. Wir kooperieren aber generell nicht mit den russischen Sicherheitskräften. Wo nötig, werden wir selbstverständlich koordinieren.

Deutsche Soldaten auf Patrouille in der Nähe des Dorfes Bagoundje.
Deutsche Soldaten auf Patrouille in der Nähe des Dorfes Bagoundje.

© Imago/Joerg Boethling

Wie fällt Ihre vorläufige Bilanz des deutschen Einsatzes in Mali aus? Die Sicherheitslage ist nicht gut, man überlässt den Russen das Feld – und wer weiß, ob die Putschisten, nächstes Jahr wirklich demokratische Wahlen zulassen.
Ich kann noch keine Bilanz ziehen, nur eine philosophische Frage stellen: Ist es nicht gut, bei heftigem Regen wenigstens zeitweise unter einem Regenschirm gestanden zu haben?

Was ich damit sagen will: Die Afghanen, besonders die Afghaninnen, hatten 20 Jahre lang mehr Freiheit, die Malier viele Jahre mehr Sicherheit – zumindest wo wir waren. Es ist eine sehr deutsche Sichtweise, darin keinen Wert zu erkennen. Aber auch das Ergebnis ist wichtig: Ob der demokratische Übergang gelingt, entscheidet darüber, ob wir am Ende einen guten Beitrag geleistet haben oder nicht. Das liegt nun in den Händen der Malier.

Der Abzug leitet auch das Ende einer Zeit ein, in der es vorrangig Einsätze außerhalb des Nato-Gebiets gab. Gerade die Aggression Russlands in der Ukraine erzwingt wieder einen Fokus auf die Bündnis- und Landesverteidigung. Wie sehen Sie die Entwicklung?
Ich bin im Kalten Krieg Soldat geworden, und mein erster Kompaniechef hat damals gesagt, der Warschauer Pakt wird angreifen – nicht „könnte“, sondern „wird“. Das war vielleicht übertrieben, aber mindestens zur Abschreckung brauchte es eine voll ausgerüstete und sofort einsatzfähige Armee. Das Motto lautete damals: Kämpfen können, um nicht kämpfen zu müssen. Da müssen wir jetzt wieder hin.

Hätte dieser Schwenk zurück nicht früher erfolgen müssen, nachdem russische Kräfte 2014 erst die Krim annektierten und dann die Separatisten in der Ostukraine unterstützten?
Im Rückblick ist man immer schlauer. Nach Ende der Ost-West-Konfrontation hat die Bundeswehr gewisse Kernkompetenzen aufgegeben. Es schien damals so, als könnten wir uns das leisten, als wären wir nur noch von Freunden umgeben. Zumindest theoretisch wurde auch daran gedacht, dass sich das eines Tages wieder ändern könnte.

In Bezug auf Russland ging man davon aus: Zehn Jahre Vorwarnzeit haben wir. Die Ereignisse auf der Krim haben uns dann gezeigt, dass zehn Jahre Vorwarnzeit innerhalb einer Woche vorbei sein können. Wenn man sich anschaut, wie lange es dann bis zur russischen Vollinvasion der Ukraine gedauert hat, war die damalige Annahme aber doch gar nicht so falsch.

Wenn der Krim-Schock so groß war, wie Sie sagen: Warum wurde dann nicht mehr getan? Warum war die Bundeswehr nicht lauter?
Wir haben die Vorwarnzeit schon genutzt und schon damals den Fokus wieder stärker auf die Bündnis- und Landesverteidigung gelegt. Gleichzeitig sind wir Staatsbürger in Uniform, die unserem Berufsverständnis nach loyal sind und als Militärs nicht ständig Entscheidungen der zuständigen demokratischen Entscheidungsgremien anprangern. Und nun kann man sagen: Der Anker wurde gelichtet, das Schiff herumgedreht.

Da wären wir am Schluss wieder bei der Seefahrt.
Ja – nur leider lässt sich ein Schiff nicht so schnell wenden.

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