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Kommentar: "Die SPD muss Fußball spielen - nicht stille Post"

Sigmar Gabriel über Personalentscheidungen, Scheindebatten und die Unzufriedenheit der Wähler.

Wir Sozialdemokraten dürfen uns diese Debatten um unseren Parteivorsitz und um den Kanzlerkandidaten nicht weiter aufdrängen lassen! Es wird Zeit, einmal darauf hinzuweisen, dass die Sozialdemokratie selbst bestimmt, wann und wie sie ihre Personalentscheidungen trifft. Der Vorsitz der SPD ist entschieden. Basta! Und die Kanzlerkandidatur wird entschieden, wenn wir es wollen und nicht, wenn jeden Tag danach gefragt wird.

Egal wen wir jetzt nämlich benennen würden, er wäre das nächste Opfer, so lange wir unsere innere Haltung zu unserer Partei und zu unserer eigenen Politik nicht grundlegend ändern. Im Fußball hieße das: Zurück auf den Platz und weg von der Linie. Gute Spieler haben wir genug und Tore haben wir in der ersten Halbzeit der Koalition ja auch eine Menge geschossen: Solide Finanzen, erfolgreiche Außenpolitik und sinkende Arbeitslosigkeit, um nur ein paar Stichworte zu nennen. Jetzt müssen wir vor allem aufpassen, dass wir weiter Fußball spielen und nicht „Stille Post“, bei dem jeder dem anderen das ins Ohr tuschelt, was er glaubt gerade vom anderen gehört oder verstanden zu haben. Wer „Stille Post“ spielt, erzielt keine Tore, sondern Durcheinander und wirres Gequatsche oder bösartige Gerüchte. Das eine ist so kontraproduktiv und überflüssig wie das andere.

Um beim Fußball zu bleiben: Ein gutes Spiel braucht klare und überzeugende Spielzüge und darf nicht den Eindruck erwecken, über Bande spielen zu wollen. Das gilt für Sachfragen ebenso wie für Richtungs- oder Personalfragen. Bei allen wird von uns Klarheit und Gradlinigkeit verlangt. Darauf erwächst Vertrauen in unsere Mannschaft. Wer über Bande spielen will, dem droht die Gefahr, Eigentore zu produzieren. Und davon hatten wir in letzter Zeit nun wirklich genug. Dass unsere Fans davon verwirrt wurden, liegt an uns und nicht an den Stadienlautsprechern in den Medien.

Vor allem aber gibt es eine tiefe Enttäuschung in großen Teilen der Bevölkerung über die Politik insgesamt in Deutschland. Immer weniger Menschen haben den Eindruck, dass es in Deutschland sozial zugeht. Dies zeigt sich auch am stark gesunkenem Interesse, an demokratischen Abstimmungen teilzunehmen: Noch nie in der Geschichte unserer Landes war die Wahlbeteiligung so gering wie zurzeit. Das signalisiert auch eine tiefe Unzufriedenheit mit der Ausgestaltung der sozialen Marktwirtschaft in Deutschland.

Das muss von der SPD aufgegriffen und in praktische Politik übersetzt werden, ohne dabei unerfüllbare Versprechen abzugeben. Diese Leistung kann in Deutschland nur eine Partei schaffen: die SPD! Weniger Schulden, die unnötige Zinsen fressen, mehr Netto vom Brutto durch geringere Sozialabgaben, Investitionen in unsere Häuser und Wohnungen, damit wir nicht soviel und so teures Gas verbrauchen, eine gerechte Pendlerpauschale, stabile Einkommen für die, die nicht bis zur Rente mit 67 arbeiten können und manches mehr.

Hier können wir Sozialdemokraten ruhig auch kontrovers miteinander diskutieren. Das schadet uns nicht, denn es wird die Menschen interessieren, wenn wir um die richtigen Wege für ein besseres Leben für alle ringen. Der ganze Rest sind Scheindebatten, mit denen sich noch unzählige Zeitungsseiten füllen lassen. Wer dazu Stichworte liefert, schädigt nicht nur der SPD, sondern vor allem der Durchsetzung unserer Ziele. Also vor allem Schluss mit „Stiller Post“.

Der Autor ist SPD-Mitglied und Bundesminister für Umwelt, Naturschutz und Reaktorsicherheit

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