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Der türkische Musiker Fazil Say steht wegen Beleidigung des Islam vor Gericht.

© AFP

Komponist vor dem Kadi: Türkischer Musiker Fazil Say soll den Islam beleidigt haben

Weil er sich bei Twitter über den Koran und einen Muezzin lustig gemacht hat, steht der streitbare Pianist und Komponist Fazil Say in der Türkei vor Gericht. Doch selbst Kritiker des Künstlers sprechen in diesem Fall von einem Angriff auf demokratische Grundwerte.

Vor sieben Jahren stellte die Türkei ihren wichtigsten Schriftsteller, Orhan Pamuk, vor Gericht, weil er angeblich das „Türkentum“ beleidigt hatte - jetzt muss sich der wichtigste zeitgenössische Komponist des Landes, Fazil Say, vor dem Richter verantworten, weil er den Islam herabwürdigt haben soll. Der Prozess gegen den 42-jährigen Say, der an diesem Donnerstag beginnt, bringt erneut die engen Grenzen der Meinungsfreiheit in der Türkei auf die Tagesordnung. Selbst Kritiker des streitbaren Pianisten und Komponisten sprechen von einem Angriff auf demokratische Grundwerte.

Say hat noch nie einen Hehl daraus gemacht, dass ihm fromme Muslime auf die Nerven gehen und dass er die islamisch geprägte Regierung in Ankara nicht mag. Das fromme Kleinbürgertum Anatoliens, das die Stammwählerschaft von Ministerpräsident Recep Tayyip Erdogan bildet, ist ihm ebenfalls ein Graus.

Im April schickte Say, der sich selbst als Atheist bezeichnet, per Twitter einige Kommentare in die Welt, die er bei anderen Nutzern des Kurznachrichtendienstes gesehen hatte und die er witzig fand. Mit Blick auf den sehr eilig vorgetragenen Gebetsruf eines Muezzins fragte er, ob der fromme Mann wohl rasch zu Freundin oder Schnaps rennen wolle. Auch nahm er sich die „Bäche von Wein“ und die Jungfrauen vor, die der Koran den Gläubigen im Jenseits verspricht. Ob das Paradies etwa eine Kneipe oder Bordell sei, fragte Say.

Ein Bürger, der Strafanzeige einreichte, und die Istanbuler Staatsanwaltschaft fanden die Kommentare überhaupt nicht komisch. Die Anklage hält den Straftatbestand der religösen Hetze für erfüllt und fordert eine Gefängnisstrafe von anderthalb Jahren für Say. Der Musiker verteidigt sich mit dem Hinweis, er habe lediglich Twitter-Kommentare anderer Nutzer als „Re-Tweet“ weitergeleitet. Außerdem seien die Äußerungen von der Meinungsfreiheit gedeckt.

Das sieht nicht nur Say selbst so. Der Kolumnist Cüneyt Özdemir kommentierte, er zähle sich zu den schärfsten Kritikern von Say – doch das spiele für die Dauer des Prozesses keine Rolle: „Diese Art von Gerichtsverfahren zieht unserer Demokratie den Boden unter den Füßen weg.“ Fast 8000 Unterstützer schlossen sich einer Solidaritätsaktion für den Komponisten im Internet an. Aus Berlin reist die Bundestagsabgeordnete Sevim Dagdelen (Linke) zum Prozessauftakt an den Bosporus. Die EU kritisierte erst in der vergangenen Woche, in der Türkei würden der Meinungsfreiheit immer engere Fesseln angelegt.

Erdogans Regierung zeigt dennoch wenig Neigung, dem unliebsamen Angeklagten beizuspringen. Für die Auslegung der Gesetze sei die Justiz zuständig, ließ Europaminister Egemen Bagis den Komponisten kühl wissen. Ein Abgeordneter der Erdogan-Partei fragte Say per Twitter, „in welchem Puff“ er denn zur Welt gekommen sein. Say, der von 1987 bis 1995 in Deutschland studierte, fühlt sich schon seit längerem in der Türkei ausgegrenzt. Nach eigenen Worten dachte er schon an die Auswanderung.

Dem türkischen Ministerpräsidenten dürfte diese Vorstellung keine schlaflosen Nächte bereiten. Er lässt derzeit einen Gesetzentwurf ausarbeiten, mit dem er gegen Islamophobie vorgehen will. Auch die religiösen Überzeugungen von Christen und Juden sollen mit dem Gesetz besser vor Beleidigungen geschützt werden, sagt Erdogan. Der Raum für die Meinungsfreiheit dürfte damit noch enger werden.

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