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Kosovo

© AFP

Kosovo: Auf dem Sprung

Das Kosovo wählt ein neues Parlament. Analysten rechnen auch bei einem Regierungswechsel mit der Unabhängigkeit.

Ein eisiger Wind zerrt an den roten Flaggen mit dem schwarzen Adler. Hunderte jugendlicher Schaulustige in dunklen Lederjacken drängen sich auf der Tribüne, den Mauern und Dächern am kleinen Festplatz des Kosovo-Städtchens Drenas. „Hashim Taci!“ skandieren die wartenden Anhänger der oppositionellen Demokratischen Partei Kosovos (PDK) den Namen ihres Hoffnungsträgers. Mit empor gereckten Daumen betritt der früh ergraute Premier-Anwärter unter frenetischem Jubel das Podium. Seine Versprechen der baldigen Unabhängigkeit und neuer Arbeitsplätze gehen in den Sprechchören des begeisterten Anfangs unter. „Ihr werdet ein besseres Leben haben“, versichert er seinem Publikum.

Seit drei Wochen ist der Wahlkampf zu den Parlaments- und Kommunalwahlen am kommenden Samstag in vollem Gange. 65 Parteien und Gruppen haben sich bei der Wahlkommission registrieren lassen – darunter trotz eines Boykott-Aufrufs Belgrads acht serbische Parteien. Vermutlich dürften die Wahlen zum letzten Urnengang in einem offiziell noch zu Serbien zählenden Kosovo werden. Eine gütliche Einigung zwischen den auf Unabhängigkeit pochenden Kosovo-Albanern und Serbien ist zwar nicht in Sicht. Dennoch ist ein Ende des zähen Verhandlungsmarathons absehbar.

Bis zum letzten Platz ist die mit EU- und US-Flaggen geschmückte Sporthalle von Pristina besetzt. Dumpf dröhnen die Schläge der Tupan-Trommler. Hell überschallen die quietschenden Zürle-Klarinetten bei der Kundgebung der regierenden Demokratischen Liga (LDK) die Sprechchöre für den verstorbenen Partei-Gründer Ibrahim Rugova. Umfragen sagen der LDK von Präsident Fatmir Sejdu Einbußen zwischen 12 bis 15 Prozent voraus. Die meisten Analysten in Pristina prognostizieren darum eine große Koalition der LDK mit der PDK – mit Hashim Thaci als neuem Premier. Trotz des temperamentvoll geführten Wahlkampfs macht der Politologe Ilir Dugoli vom Kipred-Institut „keinerlei substanziellen Unterschiede“ bei den Parteien aus - sowohl was die Status-Frage als auch die „Kakophonie“ der Wahlversprechen angehe. Der Wahlkampf ziele vor allem auf die Persönlichkeiten der Spitzenkandidaten. Die Verheißung der Unabhängigkeit spiele im Vergleich zu früheren Urnengängen selbst eine „etwas geringere Rolle“. Keine Partei könne aus diesem Thema Kapital schlagen, da die Unabhängigkeit ja immer noch nicht erreicht sei: „Es wurden in der Vergangenheit zu viele Termine genannt, die nie eingehalten werden konnten.“

Selbst wenn sich die Zusammensetzung der Regierung ändern sollte, werde dies keinerlei Einfluss auf die Verhandlungsposition der Kosovo-Albaner haben, versichert in seiner Amtsstube Muhamet Hamidi, der Chef-Berater von Präsident und LDK-Chef Sejdu. Alle Wege zu einer Einigung seien „erforscht“: „Die Serben wollen, dass wir noch Jahrhunderte lang weiter verhandeln. Doch die Zeit der Entscheidung ist gekommen.“

Die in großen Teilen der Provinz allgegenwärtigen Wahlplakate sucht man in den von Serben bewohnten Landstrichen vergeblich. Wie ausgestorben wirken die herunter gekommenen Gassen im serbischen Viertel von Orahovac. Vor der orthodoxen Kirche patrouillieren fröstelnd zwei schweizerische Kfor-Soldaten. Viele der Häuser sind verlassen. 500 Menschen wohnten noch im Viertel, „früher waren es mehr“, sagt Schuldirektorin Suzana Milicevic. Vor allem die Kinder hätten unter der eingeschränkten Bewegungsfreiheit zu leiden: „Ihre Welt besteht aus ein paar Straßen um die Kirche.“ Über die Wahlen und Politik will sie nicht reden, auf beiden Seiten sei eben „mehr Toleranz und Kompromissbereitschaft“ nötig. Am schlimmsten wäre es nun, angesichts der undeutlichen Zukunft in Panik zu verfallen, sagt die Pädagogin. Sie glaube nicht, dass bei einer Unabhängigkeit noch mehr Serben die Stadt verlassen könnten.

Nur widerwillig erklärt sich der einzige serbische Parlaments-Kandidat der Stadt zu einem kurzen Gespräch bereit. Es sei ein Fehler Belgrads, die Kosovo-Serben erneut zum Fernbleiben bei den Wahlen aufzurufen, erklärt Slavisa Kolasinac, warum er sich über den Boykott-Aufruf aus Serbien hinweg setzt. Wenn man nur zuhause sitze, könne man nichts erreichen, sagt der 45-Jährige: „Wir haben immer Gelegenheit, etwas zu boykottieren. Aber nicht immer die Möglichkeit, an Wahlen teilzunehmen“, sagt er.

Thomas Roser[Tirana]

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