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Eskalation. In der Nähe des Maracanã-Stadions in Rio de Janeiro reagierten Polizisten mit einem massiven Einsatz auf den Protest der Demonstranten, die zuvor Steine und Molotowcocktails auf die Beamten geworfen hatten. Bei den Zusammenstößen gab es Verletzte.

© AFP

Krawalle am Rande des Confed-Cup: Nebensache Finale

Bei Protesten in Rio eskaliert die Lage – es kommt zu Straßenschlachten. Für einen kurzen Moment erreicht die Gewalt auch den Rasen im Fußballstadion.

Rio de Janeiro - Der Krawall beginnt pünktlich mit dem Anpfiff. In Rio de Janeiros Maracanã-Stadion tritt am Sonntag Brasilien gegen Spanien zum Finale im Confederations Cup an, draußen hat der Staat 11 000 Sicherheitskräfte aufgeboten, um die Arena abzuriegeln, darunter Einheiten der brasilianischen Nationalgarde. Offenbar wollen die Behörden unbedingt verhindern, dass die Demonstranten zum Spielort gelangen. Es wäre ein weiterer Sieg der Protestbewegung gewesen, die seit Mitte des vergangenen Monats für bessere Gesundheit und Bildung auf die Straße geht und die exorbitanten Kosten für die Fußball-Weltmeisterschaft kritisiert.

Am frühen Abend sind mehrere Tausend Demonstranten in Richtung Spielort losgezogen. Fast täglich finden in Rio zurzeit solche Märsche statt, und es hat sich eine gewisse Orientierungslosigkeit breitgemacht. Sie hat auch damit zu tun, dass Brasiliens aufgeschreckte Regierung einige der Hauptforderungen der Proteste in Windeseile umgesetzt hat.

Zu der Demonstration am Sonntagabend hat das „Volkskomitee WM“ unter dem Motto aufgerufen: „Das Maracanã gehört uns“. Das Komitee verlangt die sofortige Annullierung der Stadionprivatisierung. Komitee-Sprecher Gustavo Mehl erklärt: „Der brasilianische Staat hat für den WM-gerechten Umbau der Arena umgerechnet 460 Millionen Euro bezahlt, sie aber dann an ein Konsortium um Brasiliens Baukonzern Odebrecht vergeben, der für ihre kommerzielle Nutzung lediglich zwei Millionen Euro Jahrespacht zahlen soll.“

Wie weit der Protest in die Gesellschaft hineinreicht, macht auch Sérgio Pimentel deutlich. Der 66-jährige Rentner war früher Filialleiter einer großen Supermarktkette. Am Tag des Endspiels zieht er mit einem Schild durch die Straße: „Für eine neue Demokratie!“ Das Finale im Stadion interessiert ihn wenig.

Als der Protestmarsch eine Zugangsstraße zum Stadion erreicht, ist diese von sogenannten Schocktruppen abgeriegelt. Der 21-jährige Gabriel Xukurú breitet ein Transparent aus: „Das Maracanã-Dorf leistet Widerstand“. Xukurú trägt ein hölzernes Piercing in der Unterlippe und einen Federschmuck. Er ist einer der Ureinwohner, die aus dem Museu do Índio vertrieben worden waren, einem historischen Bau auf dem Stadiongelände, der einem Parkplatz weichen sollte. Nun fühlt sich Xukurú durch die Protestbewegung in Brasilien ermutigt, die Rückkehr in das denkmalgeschützte Haus zu fordern.

Einige Meter neben Xukurú steht ein junger Mann mit Gasmaske. Er lebt in der Favela Providência, in der Rios Stadtverwaltung verschiedene Bauprojekte plant. Für eins von ihnen soll der 23-Jährige sein Haus räumen, er ist von der Zwangsumsiedlung bedroht. „Es wird gleich knallen“, sagt er. „Es gibt keinen Frieden ohne Gerechtigkeit.“

Kurz darauf fliegt ein Molotowcocktail in Richtung der Polizei, die sofort mit Tränengas zurückschlägt. Schwaden des Tränengases erreichen auch das Stadion, und einige brasilianische Spieler beklagen sich über brennende Augen. Wie schon bei den vorherigen Demonstrationen kommt es zur Eskalation. Bis zum späten Abend gibt es in Rio Straßenschlachten. Im Stadion passiert hingegen Unvorhergesehenes. Ein Paar, das an der Eröffnungschoreografie teilnimmt, breitet ein Transparent gegen die Stadionprivatisierung aus. Die Aktion dauert nur wenige Sekunden – aber der Protest hat den Rasen erreicht. Philipp Lichterbeck

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