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2000 Menschen sind wegen der Krawalle festgenommen worden.

© Reuters

Krawalle in Großbritannien: Vor Gericht steht auch die weiße Mittelschicht

Während die Gerichte in vielen Städten die Nächte hindurch über Plünderer verhandeln, um sich der Flut der Fälle fristgerecht anzunehmen, nahm die Polizei neue Verhaftungen und Wohnungsdurchsuchungen vor.

London - Sie hat ein exzellentes Abitur, ihre Eltern leben in einer Villa auf dem Lande mit Tennisplatz, in Exeter studiert sie Englisch und Italienisch. In der Nacht zum Donnerstag stand die 19-jährige Laura Johnson in der bunten Reihe der Plünderer, die nun in Magistratsgerichten landauf, landab in England bei Marathonsitzungen abgeurteilt werden.

Fast 2000 Plünderer dürften in England bereits verhaftet worden sein, 900 allein in London. Während die Gerichte in vielen Städten die Nächte hindurch verhandeln, um sich der Flut der Fälle fristgerecht anzunehmen, nahm die Polizei neue Verhaftungen und Wohnungsdurchsuchungen vor. Systematisch werden die CCTV-Aufnahmen aus Großbritanniens berüchtigtem Überwachungsnetz ausgeschlachtet. Die Polizei war auch deshalb anfänglich so zögerlich bei ihrem Vorgehen gegen Plünderer, weil sie sich ziemlich sicher war, dass sie die Täter früher oder später festnehmen kann. Drei Plünderer, deren Fotos die „Sun“ auf der Titelseite abgebildet hatte, wurden gleich geschnappt.

Laura Johnson, mit zwei Komplizen und angeblichem Diebesgut im Wert von 5000 Pfund (5500 Euro) in ihrem Auto gestellt, trägt nun eine elektronische Fußfessel und darf ihr Haus nach 19 Uhr nicht mehr verlassen. Weil die Magistratsgerichte nur Haftstrafen bis maximal sechs Monate verhängen dürfen, wird ihr Fall später im Londoner Crown Court verhandelt werden.

Fürs erste scheinen die Gerichtstermine die These zu bestätigen, die Serie der Plünderungen sei nicht der Aufschrei einer verelendeten und ausgegrenzten Unterklasse, sondern der erste „post-politische Aufruhr“ gewesen. Auch die 24-jährige Natasaha Reid hat an einer Universität studiert. Sie will Sozialarbeiterin werden. Auf dem Weg zu McDonald’s schloss sie sich spontan Plünderern an und nahm einen Fernseher mit. Hinterher fühlte sie sich so schlecht, dass sie sich freiwillig stellte. Der 18-jährige Student Jamal Ebanks ging mit seinem 32-jährigen Onkel Jeffrey, einem Postangestellten, auf Plündertour.

Elfjährige Kinder wurden von empörten Müttern beim Gericht abgeholt, wie der rotbackige Junge, der bei Debenham einen Mülleimer klaute. Er kam glimpflicher davon als die Elfjährige in Nottingham, die mitten in der Nacht mit einer Gruppe Jugendlicher Scheiben zertrümmerte und in Gewahrsam gehalten wurde. Elektronische Fußfesseln sind erst ab zwölf Jahren erlaubt.

Viele waren Mitläufer, die zugriffen, nachdem andere die Scheiben eingeschlagen hatten. Die Mehrheit der Täter scheint weißer Hautfarbe zu sein – allerdings nicht der 31-jährige Hilfslehrer Alexis Bailey, der in einer Londoner Grundschule als „Mentor“ angestellt war , um sich als Rollenvorbild um besonders schwierige schwarze Kinder zu kümmern.

Richard Myles-Palmer, der mit einem Einkaufswagen mit Elektrowerkzeugen erwischt wurde, hat bereits ein langes Vorstrafenregister. Er erhob die Hand zum Siegesgruß, als er im weißen Gefängnis-T-Shirt aus dem Gericht schlenderte: Ihm droht eine harte Strafe.

Plünderer würden „die volle Kraft der Gesetze zu spüren bekommen“, versprach Premierminister David Cameron. Aber Polizisten äußerten sich enttäuscht, als ein Plünderer nur zu zwei Tagen Haft verurteilt und sogleich auf freien Fuß gesetzt wurde, weil er schon so lange in der Zelle saß.

Hunderttausend Briten haben in einer Petition gefordert, wer wegen Plünderungen und Krawall verurteilt werde, müsse Sozialhilfe und die Sozialwohnung verlieren. Ein Londoner Bezirksleiter, Coun Govinda, stimmt zu: „Sozialmieter sollten sich keiner Illusion hingeben was sie erwartet, wenn sie sich an der Zerstörungsorgie beteiligt haben.“

Versicherungen und Experten schätzen die Schadenssumme nach den Krawallen auf mehr als 200 Millionen Pfund (229 Millionen Euro). Wie das britische Einzelhandelsinstitut mitteilte, verzeichneten die Händler, die ihre Geschäfte schließen mussten, Verluste von mindestens 80 Millionen Pfund. Für Säuberungen und Reparaturen müssen sie mehr als 40 Millionen Pfund ausgeben.

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