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Politik: Krieg als Politik

IRAK UND DIE FOLGEN

Von Clemens Wergin

So viel ist klar nach diesem turbulenten Jahr: Die weihnachtliche Utopie vom ewigen Frieden liegt noch in weiter Ferne. Schlimmer noch: Mit dem IrakFeldzug der Briten und Amerikaner erlebte der Krieg ein Comback – als Mittel der Politik.

Beim Krieg gegen Afghanistan war das noch anders. Der durfte als legitime Antwort auf eine Aggression gelten. Schließlich war Amerika am 11. September 2001 angegriffen worden von Terroristen, die eng mit den Machthabern am Hindukusch verflochten waren. Damals schrieben US-Intellektuelle eine Rechtfertigung des Krieges unter dem Titel „Wofür wir kämpfen“, in der sie begründeten, warum Amerika das Recht habe, die Taliban zu stoppen. Sie argumentierten mit der Theorie des „gerechten Krieges“. Ein „unglückseliger historischer Begriff“, wie deutsche Intellektuelle antworteten – ein bisschen zu voreilig.

Denn darum geht es ja in der Theorie des gerechten Krieges, die im 5. Jahrhundert mit dem Kirchenvater Augustinus begann: die Menschheitsgeißel einzuhegen, zu bändigen – und auf möglichst wenig Anlässe zu beschränken. Der Irakkrieg wäre damit nicht zu rechtfertigen gewesen. Es gibt aber in Europa, auch das wurde in jenem interkontinentalen Briefwechsel deutlich, eine weit verbreitete Abneigung, den Krieg überhaupt zu denken. Krieg ist immer schlecht. Punkt. Schließlich sterben in ihm auch Zivilisten. Viele wollen sich da nicht auf Differenzierungen einlassen. Ein Fehler. Denn der Golfkrieg von 1991 oder der Krieg in Afghanistan waren durchaus mit dem Völkerrecht vereinbar und auch gerechtfertigt. Auch das Eingreifen im Kosovo 1999 mit deutscher Beteiligung folgte dem klassischen Argumentationsmuster des gerechten Krieges: Um Schaden von Unschuldigen abzuwenden und einen Massenmord an den Kosovo-Albanern zu unterbinden. Krieg kann manchmal das kleinere Übel sein.

Aber Krieg zur Durchsetzung politischer Interessen? Das gab es zwar auch nach dem Fall der Mauer immer wieder. Doch solange etwa die Franzosen nur in ihren ehemaligen Kolonien in Afrika eingriffen oder die Amerikaner in Panama oder Haiti für Ordnung sorgten, fanden solche Militäraktionen wenig Resonanz. Das war beim Irak-Krieg anders. Das Thema „Krieg oder Frieden“ wurde mit größtmöglicher Anteilnahme diskutiert. Und es spaltete die Weltbevölkerung.

Thomas Friedman, der einflussreiche Kommentator der New York Times, hat den Irak-Krieg einen „war of choice“ genannt: nicht notwendig oder aufgezwungen, sondern politisch gewollt. Je mehr Zeit verstreicht, ohne dass Massenvernichtungswaffen gefunden werden, desto mehr bestätigt sich diese Analyse. Die Bedrohung, die von Saddams Regime ausging, war allenfalls mittelfristiger Natur und nicht so unmittelbar, dass ein Krieg gerechtfertigt gewesen wäre. Dennoch mutet es seltsam an, dass so viele Kriegsgegner in Kauf nahmen, dass ein mehrfacher Aggressor und Massenmörder an der Macht bleiben würde, der Hunderttausende Iraker auf dem Gewissen hat. Es ging, so kann man vermuten, weniger um den Irak, sondern mehr um die Rolle der USA. Aus dem Gefühl heraus, dass hier eine ganze Region mit der Willkür des Stärkeren umgeformt werden sollte. Die Welt als Knetmasse in den Händen einer Über-Macht.

Wer solches befürchtete, darf aufatmen. Die Probleme der USA im Irak binden nicht nur fast die gesamten militärischen Kapazitäten der Supermacht, die Amerikaner haben vorerst auch keinen Bedarf an weiteren Abenteuern. Aber auch die Kriegsgegner befinden sich in einem Dilemma. Schließlich befreiten Briten und Amerikaner die Iraker von einem der schlimmsten Diktatoren der Gegenwart. Und die Entschlossenheit der USA hat bleibenden Eindruck in der Region hinterlassen. Anders hätten Briten, Franzosen und Deutsche die Iraner wohl nicht zur Überwachung ihres Atomprogramms überreden können. Und Libyens Muammar al Gaddafi wäre kaum auf die Idee gekommen, seine Programme zur Entwicklung von Massenvernichtungswaffen endgültig aufzugeben. Zur Bilanz eines turbulenten Jahres gehört also auch, dass manch andere militärische Auseinandersetzung unwahrscheinlicher geworden ist.

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