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Syrische Regierungstruppen bombardieren weiter Ost-Ghouta.

© imago/Xinhua

Update

Krieg in Syrien: Dutzende Tote und möglicher Giftgaseinsatz bei Angriff auf Ost-Ghouta

Hat Assad in Ost-Ghouta Kampfstoffe eingesetzt? Das Regime streitet die Vorwürfe von Aktivisten ab. Doch es gab schon häufig derartige Attacken.

Die Bilder sind schwer zu ertragen. Man sieht Kinder, die röchelnd nach Luft ringen. Babys, die apathisch in den Armen ihrer Väter liegen und eine Atemmaske tragen. Oder junge Männer, denen mithilfe von Wasserschläuchen die Augen ausgespült werden. Dazu überfordert wirkende Helfer, die nicht wissen, um wen sie sich zuerst kümmern sollen. Und Tote mit weißem Schaum vor dem Mund. Vermutlich sind die Opfer erstickt.

Diese Aufnahmen, die seit Samstag über die sozialen Medien verbreitet werden, stammen aus Douma, einer Stadt östlich von Damaskus. Sie gehört zur ländlich geprägten Vorortregion Ost-Ghouta und ist dort das letzte Rückzugsgebiet der Gegner von Machthaber Baschar al Assad. Dessen Armee flog mit russischer Unterstützung wochenlang massive Angriffe, um Ghouta sturmreif zu schießen.

Ende einer Feuerpause

Mittlerweile hat das Regime 80 bis 90 Prozent des Areals wieder unter Kontrolle. In den vergangenen zehn Tagen war es – verglichen mit den vorausgegangenen Bombardements – verhältnismäßig ruhig geblieben. Es gab offenbar eine Vereinbarung mit den Kämpfern der noch verbliebenen Islamisten-Gruppe Dschaisch al Islam über eine Feuerpause. In dieser Zeit sollte über die Modalitäten eines Abzugs der Dschihadisten verhandelt werden.

Doch diese Übereinkunft scheint vorerst gescheitert zu sein. Am Freitag begann die Luftwaffe, Douma wieder unter Feuer zu nehmen. Am Samstagabend soll es dann einen verheerenden Giftgasangriff gegeben haben. Aktivisten zufolge hat ein Hubschrauber eine Fassbombe abgeworfen, in der sich Chlorgas oder Sarin befand. Kurze Zeit später seien Hunderte Menschen mit entsprechenden Symptomen behandelt worden.

Die Angaben über die Zahl der Toten schwanken. Die Hilfsorganisation Syrian American Medical Society spricht von Dutzenden Opfern, die Zivilschützer von den „Weißhelmen“ berichten sogar von bis zu 150 Toten. Viel Familien starben demnach durch die Chemikalie in den Kellern ihrer Häuser, wo sie Schutz gesucht hatten.

Das Regime spricht von "fabrizierten Anschuldigungen"

Noch ist völlig unklar, wie viele Menschen tatsächlich ums Leben gekommen sind. Wegen der andauernden Luftschläge können die Helfer nur sehr eingeschränkt tätig werden. Sie müssen selbst um ihr Leben fürchten. Sollte sich ein Angriff mit Chemiewaffen bewahrheiten, wäre er wohl einer der schlimmsten in der schon mehr als siebenjährigen Geschichte des Syrienkriegs. Die Regierung in Damaskus streitet allerdings jede Verantwortung ab. Alle derartigen Berichte seien frei erfunden. Es handele sich um „fabrizierte Anschuldigungen“.

Vor genau einem Jahr gab es bereits einen ähnlich schrecklichen Vorfall mit einem Kampfstoff. Am Morgen des 4. April 2017 traf es die Kleinstadt Chan Scheichun. Mindestens 86 Menschen starben damals. Nach Auffassung verschiedener Experten und UN-Ermittlern setzten die syrischen Streitkräften bei dem Angriff das tödliche Kontaktgift Sarin ein.

Drei Tage später ordnete Präsident Donald Trump einen Vergeltungsschlag an. Bis zu 60 von US-Kriegsschiffen abgefeuerte Marschflugkörper zerstörten große Teile eines Luftwaffenstützpunkts der AssadArmee. Von dort aus soll die Attacke auf Chan Scheichun geflogen worden sein.

Atemnot in Douma. Ein Junge benötigt eine Atemmaske nach einem mutmaßlichen Angriff mit Chlorgas. Dieses Foto wurde vom Syrischen Zivilschutz, genannt "Weißhelme", zur Verfügung gestellt.
Atemnot in Douma. Ein Junge benötigt eine Atemmaske nach einem mutmaßlichen Angriff mit Chlorgas. Dieses Foto wurde vom Syrischen Zivilschutz, genannt "Weißhelme", zur Verfügung gestellt.

© Syrian Civil Defense White Helmets/AP/dpa

Auch durch den jüngsten Angriff auf Douma sind die Vereinigten Staaten alarmiert. Das US-Außenministerium in Washington kündigte an, die verstörenden Berichte zu überprüfen. Die syrische Regierung habe bereits mehrfach Giftgas gegen das eigene Volk eingesetzt. Auch Moskau als deren Verbündeter trage dafür Verantwortung. „Russland muss seine Unterstützung für Assad umgehend einstellen und mit der internationalen Gemeinschaft zusammenarbeiten, um weitere barbarische Chemiewaffenangriffe zu verhindern.“

Eigentlich sollte das Regime gar nicht in der Lage sein, Giftgas für militärische Zwecke zu nutzen. Syrien war nach einem Chemiewaffeneinsatz 2013 – damals traf es ebenfalls die von Rebellen gehaltene Region Ost-Ghouta, 1400 Zivililsten starben – unter starkem internationalen Druck der Organisation für das Verbot chemischer Waffen (OPCW) beigetreten und hatte der vollständigen Vernichtung seines Arsenals zugestimmt. Chlorgas fällt nicht unter das Verbot, da es auch für zivile Zwecke eingesetzt werden kann. Die Wirkung als Waffe ist dennoch verheerend.

Assads Vormarsch

Bis heute ist ohnehin unklar, ob Assad tatsächlich alle Bestände zerstören ließ. Amerikanische und israelische Sicherheitsexperten sind ebenso wie Geheimdienste sicher, dass Syriens Herrscher nach wie vor über einen großen Vorrat an C-Waffen verfügt – nicht zuletzt, um ein letztes Mittel in der Hand zu haben, falls seine Macht in Gefahr geraten sollte.

Doch danach sieht es derzeit nicht aus. Im Gegenteil. Assad konnte in den vergangenen Monat weitgehend unbehelligt seinen Einfluss wieder ausweiten. Auch offenkundige Kriegsverbrechen blieben bisher folgenlos.

Dass Trump auch auf den jüngsten Giftgaseinsatz wieder mit Waffengewalt reagiert, ist zumindest fraglich, auch wenn er damit jetzt droht und Assad ein "Tier" nennt.

Vor Kurzem erst erklärte der US-Präsident, er wolle lieber heute als morgen die amerikanischen Soldaten aus Syrien abziehen. Um das Kriegsland sollten sich nun „andere Leute“ kümmern. Wen er damit meinte, verriet Trump nicht.

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