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Karadzic

© AFP

Kriegsverbrechertribunal: Karadzic mit "unsichtbarem Berater" vor Gericht

Der frühere bosnische Serbenführer Radovan Karadzic ist erstmals dem UN-Kriegsverbrechertribunal in Den Haag vorgeführt worden. Karadzic kündigte an, sich selbst verteidigen zu wollen. Bei einer Verurteilung droht ihm lebenslange Haft.

Der frühere bosnische Serbenführer Radovan Karadzic trat heute erstmals vor das UN-Kriegsverbrechertribunal. Auf die Frage des Richters Alphons Orie, ob er keinen juristischen Beistand habe, antwortete Karadzic, er habe einen "unsichtbaren Berater". "Ich habe mich entschieden, meine Verteidigung selbst zu übernehmen", erläuterte Karadzic laut einem Dolmetscher. Als der Richter fragte, ob er auf schuldig oder nicht schuldig plädiere, antwortete Karadzic, er wolle die vorgesehene Bedenkzeit von 30 Tagen in Anspruch nehmen. Karadzic habe sich seit langer Zeit auf den Prozess vorbereitet, sagte der Bruder Luka Karadzic der "Iswestija".

Der 63-Jährige erschien vor dem Richter in einem blauen Anzug mit Krawatte, war rasiert und hatte eine ähnliche Frisur wie zu Zeiten des Bosnienkrieges (1992-1995). Bei seiner Verhaftung in Belgrad, die nach offiziellen Angaben am 21. Juli erfolgte, hatte er einen dichten weißen Bart und lange Haare getragen; unter falschem Namen war er jahrelang unbehelligt als Heilpraktiker tätig gewesen. Karadzic werden in insgesamt elf Anklagepunkten Kriegsverbrechen, Völkermord und Verbrechen gegen die Menschlichkeit zur Last gelegt. Er gilt als Hauptverantwortlicher für das Massaker von Srebrenica, bei dem 1995 fast 8000 bosnische Muslime getötet wurden.

Karadzic droht lebenslange Haft

Karadzic sagte vor dem Tribunal in seinen ersten Einlassungen, bei seiner Festnahme habe es Unregelmäßigkeiten gegeben. Er zog die offiziellen Belgrader Angaben zu Zeit und Ort der Festnahme in Zweifel. Darüber hinaus verwies er auf einen mehrseitigen Schriftsatz, in dem er sich zu den Vorgängen bis zu seiner Festnahme äußere. Er erhielt jedoch zunächst keine Gelegenheit, dieses Schreiben mündlich vorzutragen.

Sollte das Gericht Karadzic schuldig sprechen, muss er mit einer lebenslangen Haftstrafe rechnen. Bis zum Prozessbeginn dürften laut Chefankläger Serge Brammertz noch "mehrere Monate" verstreichen. Auch der frühere serbische Präsident Slobodan Milosevic hatte sich allein in Den Haag verteidigt. Er war im März 2006 vor einem Urteil in der Haft gestorben.

Bruder: Karadzic zählt auf "russische Diplomatie"

Luka Karadzic sagte vor der Anhörung, sein Bruder werde das UN-Kriegsverbrechertribunal nicht anerkennen und seine Unschuld beteuern. Zudem zähle sein Bruder bei dem Prozess auf "die Hilfe der russischen Diplomatie", sagte Luka Karadzic der "Iswestija". Russland, ein traditioneller Verbündeter Serbiens, sieht die Verhaftung Karadzics als interne Angelegenheit des südosteuropäischen Staates. Sein Bruder habe mit seiner Festnahme gerechnet und sich bereits auf einen möglichen Prozess vorbereitet, sagte Luka Karadzic. Bei seiner Verhaftung seien ein Computer sowie mehr als 50 CDs mit Dokumenten zu seiner Verteidigung mitgenommen worden.

Um den mutmaßlichen Kriegsverbrecher in Den Haag besuchen zu können, erhalten die Familienangehörigen von Karadzic ihre Reisepässe zurück. Der internationale Beauftragte für Bosnien-Herzegowina, Miroslav Lajcak, habe die Entscheidung nach Abwägung der Rechte des Einzelnen und der Notwendigkeiten des Friedensprozesses in Bosnien-Herzegowina getroffen, teilte sein Büro in Banja Luka mit. Lajcak hatte die Pässe von Karadzics Frau Ljiljana, Tochter Sonja, Sohn Sasa und Schwiegersohn Branislav Jovicevic im Januar beschlagnahmt. Er verdächtigte sie, Karadzic bei seiner Flucht vor der Justiz zu helfen. (küs/AFP)

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