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Auf neue Strukturen der Kriminalität ist die Polizei meist nur unzureichend vorbereitet.

©  Andreas Frank/dpa

Kriminalität in Deutschland: Polizei reagiert zu spät und zu wenig konsequent

Die Kriminellen sind der Polizei meist einige Schritte voraus. Der Chef der Kriminalbeamten kritisiert die Sicherheitsbehörden und die Politik.

Von Antje Sirleschtov

Zehn Prozent mehr Einbrüche und Diebstähle in Wohnungen, fünfzehn Prozent mehr Betrugsfälle mit Zahlungsmitteln, Ladendiebstähle nehmen zu und damit zwangsläufig das Gefühl der Menschen, nicht mehr sicher zu sein. Können die Sicherheitsbehörden, kann der Staat, sein in der Verfassung gegebenes Sicherheitsversprechen noch einlösen? Oder steuert Deutschland auf ein schleichendes Staatsversagen zu?

Sicherheitsbehörden kleingespart

Fragt man den obersten Interessenvertreter der Kriminalbeamten Deutschlands, dann fällt die Antwort nicht eindeutig aus. „Deutschland ist ein sicheres Land“, sagt André Schulz, Chef des Bundes Deutscher Kriminalbeamter, „aber die gesellschaftlichen Bedingungen ändern sich schneller, als die Sicherheitsbehörden darauf regieren können“.

André Schulz ist Chef des Bunds der deutscher Kriminalbeamten.

© BDK

Was bedeutet: Kriminalität wird durch offene Grenzen internationaler, beim Umgang mit Computern und Internet sind Kriminelle den Ermittlungsbehörden nicht selten ein paar Schritte voraus. Und auch das Selbstbild der Ermittler wandelt sich radikal; waren Polizisten jahrzehntelang geachtete Schutzmacht, die rund um die Uhr im Dienst war, ziehen sich die Beamten heute immer häufiger auf ihren Job zurück, gewichten Privat- und Familienleben höher ein.

Dass insbesondere die Politik, also die Innenminister von Bund und Ländern, diese Entwicklung verschlafen und die Sicherheitsbehörden sogar aus Kostengründen klein- und damit wirkungslos gespart hat, will der Kriminalist Schulz zwar so nicht eindeutig stehen lassen. Im Kern jedoch muss er den Befund bestätigen: „Deutschland braucht mindestens 10.000 Kriminalbeamte mehr“, sagt er.

Vor allem den Bundesländern wirft er vor, trotz der steigenden Anforderungen an die Sicherheitsbehörden kaum zu handeln. Der Bund als Dienstherr der Bundespolizei habe sein Personal zwar aufgestockt. Aber in den Ländern werde noch immer nicht genügend getan.

Zu wenig Datenaustausch zwischen den Bundesländern

Und das nicht nur bei der reinen Zahl der Polizisten und in der Justiz. Schulz wirft der Politik auch vor, auf sich ändernde Strukturen in der Kriminalität zu spät und zu wenig konsequent zu reagieren. Beispiel Einbruchdiebstahl: Seit Jahren wissen die Fachleute, dass in diesem Kriminalitätsfeld organisierte Banden in ganz Europa, vor allem aber in Deutschland, unterwegs sind.

Trotzdem funktioniere der Datenaustausch über die Grenzen von Bundesländern hinweg nicht reibungslos, und das Bundeskriminalamt habe das Thema erst im vergangenen Jahr überhaupt für sich entdeckt.

Ähnlich sieht es offenbar im Bereich Cyberkriminalität aus. „Die Ausbildung der Beamten und vor allem die notwendige Weiterbildung in diesem Bereich lässt stark zu wünschen übrig“, attestiert Oberkriminalist Schulz den deutschen Sicherheitsbehörden. Und natürlich auch hier die Ausstattung mit ausreichend geschultem Personal. Das Ergebnis: Den Staatsanwaltschaften werden nicht selten Ermittlungsakten übergeben, deren Qualität wenig Aussicht verspricht, den Richter von der Schuld des Tatverdächtigen zu überzeugen. Die Fälle werden reihenweise zu den Akten gelegt, die Verdächtigen sind auf freiem Fuß, und das Gefühl der Öffentlichkeit, in Deutschland entwickle sich Kriminalität zum Kavaliersdelikt, nimmt stetig zu.

Für den Vorsitzenden des Bundes der Kriminalisten ist diese Entwicklung durchaus Anlass zur Sorge: Bei der Strukturierung leistungsfähiger Sicherheitsbehörden seien „viele Jahre lang Fehler gemacht“ worden, beklagt Schulz. Und ein Umdenken finde leider noch immer nicht mit der nötigen Konsequenz statt.

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