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Die Sonnenblume, Symbol der Grünen

© dpa

Krise der Grünen: Traum und Trauma

Ihren tiefen Fall bei der Bundestagswahl haben die Grünen bis heute nicht aufgearbeitet. Voraussetzung für einen Neuanfang wäre die Ablösung von Jürgen Trittins Erbe. Ein Kommentar.

Ein Kommentar von Stephan Haselberger

Abgesehen von der siechenden FDP leidet derzeit keine Partei so sehr unter sich selbst wie die Grünen. Die Stimmung in der Bundestagsfraktion, in der erweiterten Parteispitze, auch in manchen Landesverbänden trägt depressive Züge; eine der meist gebrauchten Vokabeln zur Beschreibung des eigenen Zustands lautet: Lähmung.

Woran liegt das?

Wie immer, wenn die Dinge nicht so laufen, wie sie sollten, richtet sich der Blick der Unzufriedenen auf die Führung. Die vier an der Spitze – Simone Peter und Cem Özdemir als Parteichefs, Katrin Göring-Eckardt und Anton Hofreiter als Fraktionsvorsitzende – gelten als blass. Auftritte oder gar Angriffe, die der großen Koalition in den ersten 12 Monaten nach der Wahl zu schaffen gemacht hätten, sind nicht erinnerlich.

So wenig die vier Spitzenleute die Grünen aus dem Wahrnehmungsloch nach der Niederlage im Bund befreien konnten, so sehr mühen sie sich jetzt mit Einzelaktionen um persönliches Profil. Özdemir stellt sich mit Forderungen nach Waffenlieferungen in den Nordirak öffentlich gegen seine KoVorsitzende Peter; Göring-Eckardt nimmt plötzlich Abstand von der Abschaffung des Ehegattensplittings.

Sie wissen selbst nicht so genau, woran sie mit sich sind

Auf diese Weise wird aber nur eine weitere Schwäche sichtbar: Die vier haben es im ersten Oppositionsjahr nicht geschafft, ein strategisches Zentrum zu bilden, das gegensätzliche Positionen zusammenführt und für einheitliche Botschaften sorgt. Nur: Welche Botschaften eigentlich?

Wahrscheinlich liegt die tiefere Ursache für die Misere darin, dass die Grünen auf diese Frage keine halbwegs schlüssige Antwort geben können. Man spürt: Sie wissen momentan selbst nicht so genau, woran sie mit sich sind. Das wiederum hat viel mit dem Trauma der Niederlage zu tun, dem Absturz von der hochgehandelten 20-Prozent-Partei zur kleinsten Oppositionskraft hinter Gregor Gysis Linken-Truppe.

Aufgearbeitet haben die Grünen den tiefen Fall bis heute nicht. Die Gründe, vor allem der knallharte Steuer- und Abgabenerhöhungswahlkampf ihres Spitzenkandidaten Jürgen Trittin, den die sogenannte Mitte als Kampfansage verstehen musste, liegen auf der Hand. Sich dies einzugestehen, fällt den Grünen jedoch schwer. Es käme ja auch einem Schuldbekenntnis gleich; schließlich versammelte sich eine große Mehrheit im Wahlkampf widerspruchslos hinter Trittins Crashkurs. Die Ablösung von seinem Erbe, so schmerzhaft sie sein mag, ist aber Voraussetzung für einen Neuanfang.

Die Sorgen der gut verdienenden Mittelschicht müssen ernst genommen werden

Wer steuert die Grünen und wohin? Die von der Parteiführung jetzt angestoßene Freiheitsdebatte könnte ein erster Schritt aus der Identitätskrise sein. Sie darf sich allerdings nicht darauf beschränken, das Image von der grünen Verbotspartei zu korrigieren. Aus dem politisch toten Winkel, in dem die Grünen im Bund gelandet sind, führt nur ein Kurs der Mitte, bei dem die Wirtschaft als Partner begriffen und die Sorgen der gut verdienenden Mittelschicht ernst genommen werden. Diesen Prozess zu organisieren, ohne dass die Partei in ihre Flügel auseinanderfällt, ist die eigentliche Aufgabe der Grünen-Führung. Und die schwerste.

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