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Soldaten halten in Bamako (Mali) nach dem Miliärputsch vor dem Präsidentenpalast Wache (Foto vom 23.03.12).

© dapd

Krise in Westafrika: Mali steht vor dem Zerfall

Die ehemalige Muster-Demokratie Mali ist auf dem besten Weg, zum gescheiterten Staat zu werden. Terroristen aus dem westafrikanischen Staat könnten auch für Europa gefährlich werden. Die Internationale Gemeinschaft will helfen, eventuell auch militärisch. Wie kritisch ist die Lage vor Ort?

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Das Problem ist dringlich, doch die Lösungen brauchen Zeit. Seit einem guten halben Jahr ist die ehemalige Muster-Demokratie Mali auf dem besten Weg, zum gescheiterten Staat zu werden. Afrikanische, europäische und amerikanische Diplomaten verhandeln derzeit intensiv darüber, wie verhindert werden kann, dass der Norden Malis zum Rückzugsgebiet für islamistische Terroristen wird, die womöglich in Europa neue Anschläge verüben könnten. Am Donnerstag machte sich der deutsche Außenminister Guido Westerwelle (FDP) in Bamako, der Hauptstadt Malis, selbst ein Bild von den Verhältnissen und versuchte in mehreren Gesprächen auszuloten, wie Deutschland und die Europäische Union bei der Lösung der Probleme helfen könnten – politisch und militärisch.

Welche Probleme gibt es?

Am 21. März 2012 hat eine Gruppe unzufriedener Offiziere den damaligen Präsidenten Amadou Toumani Touré gestürzt. Eigentlich hatten sie nur vorgehabt, dem Verteidigungsminister ihre Forderungen nach einer besseren Bewaffnung und Versorgung im Kampfgebiet in Nordmali zu überbringen, doch der flüchtete ebenso wie der Präsident. Sie bestimmten Offizier Amadou Sanogo zu ihrem Sprecher, der ließ sich am 7. April bei einem Vermittlungsgespräch unter der Regie der westafrikanischen Regionalorganisation Ecowas auf eine Rückkehr zur verfassungsmäßigen Ordnung ein. Parlamentspräsident Dioncounda Traoré wurde Präsident.

Das Chaos nach dem Putsch in Bamako machte sich die Tuareg-Rebellenorganisation MNLA (Bewegung für die Befreiung Azawads) zunutze. Unterstützt von der salafistischen Ansar Dine (Verteidiger des Glaubens) eroberten die Tuareg-Rebellen ohne jede Gegenwehr die drei wichtigsten Städte in Nordmali: Timbuktu, Goa und Kidal. Die MNLA rief daraufhin ihren unabhängigen Staat Azawad aus. Die Kampfesbrüder von Ansar Dine dagegen wollten eine strikte Form des islamischen Gesetzes, der Scharia, durchsetzen und warfen die MNLA alsbald aus den eben erst eroberten Städten hinaus. Ansar Dine wurde dabei von Al Qaida im islamischen Maghreb (Aqim) unterstützt. Ansar Dine begann Grabmale islamischer Heiliger in Timbuktu zu zerstören, die teilweise zum Weltkulturerbe gehören. Außerdem wird von Amputationen von Händen und Füßen berichtet, von Auspeitschungen und der Steinigung eines nicht verheirateten Paares. Rund 400 000 Menschen sind aus dem Gebiet in den Süden Malis oder in die Nachbarländer Niger, Burkina Faso und Mauretanien geflüchtet. Die Islamisten finanzieren sich vor allem mit Entführungen westlicher Geiseln. Aktuell befinden sich sechs Franzosen in den Händen von Aqim. Sie machen aber auch mit dem illegalen Handel durch die Sahara Kasse. Dort werden durch die porösen Grenzen Waffen, Menschen auf dem Weg nach Europa, subventioniertes Benzin aus Algerien , Zigaretten und Drogen geschmuggelt. Fast überall verdienen nicht nur Schmuggler, Islamisten oder Rebellen, sondern auch die Sicherheitskräfte oder Militärs. So ist in der Zentralsahara eine Zone kompletter Rechtlosigkeit entstanden, die für viele Zwecke nutzbar ist.

Im September 2012 schließlich bat die Regierung in Bamako die Economic Community of West African States (Ecowas) und den Sicherheitsrat der Vereinten Nationen um Hilfe, um den unterdessen von Tuareg-Rebellen und Islamisten besetzten Norden des Landes zurückzuerobern.

Welche Optionen gibt es?

Westerwelle setzt prioritär auf eine politische Lösung. Deshalb wolle Deutschland die humanitäre Hilfe für Mali von 12,5 auf 13,5 Millionen Euro in diesem Jahr erhöhen. Außenminister Tiéman Hubert Coulibaly betonte, dass Deutschland das erste Land gewesen sei, das Mali 1960 als unabhängiges Land anerkannt habe. Deshalb wünscht sich Mali offenbar eine aktive Rolle Deutschlands bei der Bewältigung der Krise. Westerwelle sagte, dass ein „politischer Fahrplan“ zur Lösung der Krise „noch im November“ zu erwarten sei.

Ende November soll der UN-Sicherheitsrat über ein Mandat für einen Militäreinsatz von Ecowas-Truppen entscheiden. Die EU fährt derzeit eine Doppelstrategie: Zum einen soll eine politische Lösung für die innermalischen Konflikte zwischen dem Süden und dem marginalisierten Norden gefunden werden. Dabei sind die Tuareg nur eine Gruppe, mit der verhandelt werden muss. Die Bevölkerungsmehrheit im Norden Malis gehört zu anderen Ethnien. Damit die Übergangsregierung in Bamako überhaupt Verhandlungsmasse hat, soll gleichzeitig mit dem Aufbau einer militärischen Stabilisierungstruppe begonnen werden. Es geht einerseits darum, die malische Armee wieder kampffähig zu machen. Aktuell gibt es nicht einmal einen genauen Überblick darüber, wie viele Soldaten diese Armee noch hat, und mit wem sie loyal sind. Zum anderen soll eine afrikanische Truppe ausgebildet, bewaffnet und logistisch unterstützt werden, um einem Kampf mit den schwer bewaffneten Islamisten gewachsen zu sein, denen eine Vielzahl schwerer Waffen aus den Magazinen des früheren libyschen Machthabers Muammar al Gaddafi in die Hände gefallen sind.

Wie wahrscheinlich ist ein Bundeswehreinsatz in Mali?

Könnte es zu einem Einsatz der Bundeswehr in Mali kommen?

Aus Delegationskreisen hieß es, dass Westerwelle Mali Hilfe auf allen Ebenen angeboten habe – auch Ausbildungshilfe für die Armee, wenn ein entsprechendes Konzept erarbeitet werde. Bundeskanzlerin Angela Merkel hatte jüngst schon erklärt, Deutschland sei grundsätzlich bereit, sich militärisch zu engagieren und zum Beispiel an einer Ausbildungs- und Unterstützermission der EU zu beteiligen. Derzeit ist die Rede davon, dass die EU 200 Ausbilder schicken könnte, um die malische Armee zu schulen.

Bis zum 19. November soll die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton ein Einsatzkonzept vorlegen. Alles, was derzeit diskutiert werde, seien „Vorbereitungshandlungen, Ideen, Optionen“ mit Blick auf diesen 19. November, an dem die Außen- und Verteidigungsminister der Europäischen Union zusammenkommen, wie das Auswärtige Amt (AA) erklärte. AA-Sprecher Schäfer betonte aber am Mittwoch, es sei „jetzt viel zu früh, irgendwelche Spekulationen über militärische Missionen und die Beteiligung Europas und der Bundesregierung daran anzustellen“. Ein Kampfeinsatz der Bundeswehr stehe nicht zur Debatte. So weit, so vage.

Klar sei aber, sagt zum Beispiel Bundeswehr-General a.D. Klaus Naumann, dass die Ausbilder die Ausgebildeten begleiten müssen, wenn die in den Kampf ziehen: „Zu sagen, wir haben euch ausgebildet, jetzt geht mal schön Al-Quaida bekämpfen, das geht nicht“, sagte Naumann dem Tagesspiegel. Das bedeute nicht, dass die Bundeswehrausbilder selbst kämpfen müssten, aber sie sollten dabei sein, „und zwar bewaffnet, anders geht das nicht, wenn man Soldaten in eine solche Region schickt“, um ihre Schlüsse ziehen und die weitere Ausbildung an den Erfahrungen ausrichten zu können.

Wie ist die Bundeswehr bisher mit Mali verbunden?

Wie die „Zeit“ berichtet, besteht seit Jahren eine enge Zusammenarbeit zwischen den Armeen Deutschlands und Malis. Die Armee Malis werde seit 2007 von der Bundeswehr mit ausgemustertem Material versorgt. Im Rahmen des Ausstattungshilfeprogramms für ausländische Streitkräfte habe die Bundeswehr bereits Fahrzeuge, Material und Geräte geliefert und ein Ausbildungszentrum für Pioniere aufgebaut. Von Mitte November 2009 bis Ende Januar 2010 trainierten deutsche Soldaten in Mali außerdem Ausbilder der Armee des westafrikanischen Landes.

Der SPD-Wehrexperte Rainer Arnold forderte den deutschen Auslandsgeheimdienst auf, Politik und Militär mit Erkenntnissen und Informationen über die Region zu füttern: Er erwarte vom BND eine Antwort auf die Frage, „ob es überhaupt möglich ist, zu verhindern, dass die Aufständischen in Mali sich einfach zurückziehen und jenseits der Staatsgrenzen neu formieren“. In jedem Fall sei es absolut unabdingbar, dass die Nachbarstaaten in die Mission federführend eingebunden seien.

Wie positionieren sich gegenwärtig die Nachbarstaaten?

Niger hat schon länger eine gemeinsame harte Linie gegen die organisierte Kriminalität gefordert und unterstützt einen Militäreinsatz. Das sieht Algerien viel kritischer. Algerien hat offenbar Interesse an einer Ausbeutung von Rohstoffen nahe der Grenze zu Mali. Die miserable Sicherheitslage und ungeklärte Grenzverläufe machen die Erschließung jedoch schwierig. Dazu kommt, dass es auch in Algerien eine Tuareg-Bevölkerung gibt, die zwar als integrierter als in Mali gilt, die sich aber ebenfalls vernachlässigt sieht. In einen Krieg will Algerien nicht hineingezogen werden, weil es einen sehr brutalen Bürgerkrieg hinter sich hat und zudem befürchtet, die Terroristen könnten sich wieder in Algerien festsetzen. Nach Gesprächen der amerikanischen Außenministerin Hillary Clinton in Algier zeichnet sich nun wohl ab, dass Algerien Soldaten an die Grenze mit Mali verlegen will, um den Schutz der eigenen Grenze sicherzustellen. Wie Mauretanien zu einem Kampfeinsatz steht, ist noch offen.

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