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Finanzminister Wolfgang Schäuble.

© dpa

Kritik am Finanzminister: Schäubles Sündenregister

Wolfgang Schäuble hat derzeit keinen leichten Stand. Der Finanzminister hat es versäumt, wichtige Weichen in der Steuerpolitik zu stellen. Von einer großen Steuerreform ist längst nicht mehr die Rede. In der Koalition rumort es.

Bundeskanzlerin und CDU-Chefin Angela Merkel stärkte ihrem Bundesfinanzminister gestern bei der Besichtigung der Parteitagshalle in Karlsruhe noch einmal demonstrativ den Rücken. Auf die Frage, wie viel Unterstützung Wolfgang Schäuble in der Partei noch habe, sagte sie: "Große. Da bin ich ganz sicher." Doch die Verstimmung vor allem in den Fraktionen von Union und FDP ist groß.

"Wenn wir kein Steuervereinfachungsgesetz umsetzen, das seinen Namen verdient, dann nehmen uns unsere Wähler nicht mehr ernst", sagt der CDU-Finanzexperte Christian von Stetten. FDP-Finanzexperte Volker Wissing kritisiert, außer der notwendigen Haushaltskonsolidierung gebe es für Schäuble kein anderes Thema: "Er muss sich jetzt bewusst machen, dass er nicht nur Haushaltsminister, sondern auch Finanzminister ist."

Von einer großen Steuerreform ist längst nicht mehr die Rede, auch der Beseitigung des Mittelstandsbauchs und der kalten Progression widersetzte sich Schäuble bisher. Die steuerpolitische Sündenliste Schäubles ist nicht nur aus Sicht der Wirtschaftspolitiker von Union und FDP noch länger.

Gemeindefinanzen: Die Reform der Gemeindefinanzen war für die schwarz-gelbe Bundesregierung so etwas wie der letzte Hoffnungswert in der Steuerpolitik. Wenn man schon nicht das Geld und den Mut für eine umfassende Einkommensteuerreform zusammenbringt, sollte wenigstens die Abschaffung der Gewerbesteuer gelingen. Immer wieder hatten sich Union und FDP in den vergangenen Monaten versichert, dass man auf diesem Feld etwas hinbekommen will. Doch die kommunalen Spitzenverbände hatten keine Lust, ihre wichtigste Steuerquelle aufzugeben. Als die Verbände auch beim jüngsten Treffen vor eineinhalb Wochen ihren Widerstand nicht aufgaben, ließ Finanzminister Schäuble verbreiten, die Gemeinden könnten die Gewerbesteuer behalten, sollten aber zusätzlich ein Heberecht auf die Einkommensteuer bekommen. Weder mit den Kommunen noch mit der FDP war dieser Vorschlag abgestimmt. FDP-Chef Guido Westerwelle sah sich persönlich nach diesem Affront genötigt, Schäubles heimlichen Plan auszubremsen. Wie es mit der Reform der Gemeindefinanzen weitergeht, die auch ein besonderes Anliegen der Bundeskanzlerin ist, bleibt völlig unklar.

Steuervereinfachung: Weil das deutsche Steuerrecht zu den kompliziertesten und unverständlichsten in der Welt gehört, hatten sich Union und FDP schon im Koalitionsvertrag auf eine grundlegende Vereinfachung des Steuersystems verständigt. "Wir werden das Steuerrecht spürbar vereinfachen und von unnötiger Bürokratie befreien", steht dort geschrieben. Es folgen 90 Vorschläge zur Vereinfachung des Steuerrechts. Nach einem Jahr hat der Finanzminister eine Liste mit nur noch 18 Punkten vorgelegt, von der Wiedereinführung des steuerlichen Abzug privater Steuerberatungskosten ist beispielsweise gar nichts mehr zu finden. Schäuble hat sich vor allem dagegen entschieden, weil er die mit einer Entschlackung des deutschen Steuerrechts verbundenen Steuerausfälle auf 500 Mio. Euro begrenzen will. Das regt nicht nur den Koalitionspartner mächtig auf, sondern auch die eigenen Reihen. "Wir wollen da mehr", sagte Unionsfraktionsvize Michael Fuchs gestern.

Mehrwertsteuer: Warum beispielsweise Babywindeln mit dem vollen Mehrwertsteuersatz belastet werden, Schnittblumen und Rennpferde aber nur mit dem reduzierten Satz, ist mit dem gesunden Menschenverstand nicht mehr zu erklären und auch aus ökonomischen Gründen widersinnig. Finanzminister Schäuble kennt die Ungereimtheiten des Mehrwertsteuersystems, weigert sich bisher aber, mit den Unsinnigkeiten aufzuräumen. Die Einsetzung einer Expertenkommission hat er verschleppt. FDP-Fraktionschefin Birgit Homburger forderte Schäuble am Wochenende demonstrativ auf, sich an den Koalitionsvertrag zu halten. Im Finanzministerium wird Schäubles Nichtstun damit begründet, dass er massiven Widerstand der Bevölkerung fürchtet, wenn für bestimmte Produkte der reduzierte Mehrwertsteuersatz gekippt wird.

Euro-Rettung: Wenn Schäuble schon in der Steuerpolitik nicht viel gelingt, will er sich wenigstens als überzeugter Europäer einen Namen machen. So dachte man wenigstens noch bis vor wenigen Tagen. Doch seitdem die Pläne des Finanzministers für einen dauerhaften Krisenmechanismus zur Abwendung von Staatspleiten in Europa bekannt geworden sind, wachsen die Zweifel. Der Vorschlag, private Gläubiger bei einer drohenden Zahlungsunfähigkeit eines Euro-Landes mit zur Kasse zu bitten, ist zwar ökonomisch richtig, hat aber in der aktuellen Staatsschuldenkrise die Finanzmärkte so sehr verschreckt, dass in Europa die Kritik an der Bundesregierung deutlich zunimmt.

Quelle: Handelsblatt

Sven Afhüppe, Thomas Sigm

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