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Kritik an Merkel: Union ringt um Zukunft als Volkspartei

Die hauseigene Kritik an CDU-Chefin Angela Merkel ist heftig. Es herrscht tiefe Verunsicherung, wie sich die Union im Bundestagswahlkampf positionieren soll. Viele wollen statt der "scheinliberalen Politische-Mitte-Soße" nun lieber wieder "CDU pur". Experten zweifeln an dem Rezept.

Im Jahr 2000 hatte Angela Merkel Zweifel, ob sie als Vorsitzende zur CDU passen würde. Damals - die Geschichte wird in der Union immer noch gerne erzählt - war es ausgerechnet der heutige einflussreiche Anführer der tiefschwarzen baden-württembergischen Bundestags-Abgeordneten, Georg Brunnhuber, der die protestantische Ostdeutsche ermuntert hat: "Konservativ sind wir selber", soll er gesagt haben. "Aber wir wollen, dass sich unsere Töchter für die CDU interessieren", meinte er mit Blick auf die Frau aus dem Osten.

Nun hat es Merkel aus Sicht der Konservativen in ihren neun Jahren als Parteichefin just mit dem zu weit getrieben, was sie sich von ihr versprochen haben - mit der Öffnung der Partei, der Korrektur des alten Profils. Zuerst kam Kritik aus dem Wirtschaftsflügel, jetzt begehren die Konservativen auf. Brandenburgs Innenminister Jörg Schönbohm fordert von der Kanzlerin, sie müsse "jetzt zeigen, wofür die CDU steht". Der Generalsekretär der Südwest-CDU Thomas Strobl sagt: "Es muss endlich klar werden, was CDU pur ist." Katholiken, Heimatvertriebene und Ärzte fühlten sich in der Union nicht mehr so recht zu Hause.

Der Schock der fast verlorenen Wahl vor vier Jahren steckt immer noch in den Gliedern. Die zuletzt schlechten Umfragewerte haben der Furcht, dass es auch diesmal nicht für Schwarz-Gelb reichen könnte, neue Nahrung gegeben.

Beispiel Österreich

Wie kann die Union im September erfolgreich sein? Hinter den Kulissen herrscht darüber schon länger ein Theorienstreit. Die Konservativen sagen, dazu müssten zuallererst die Stammwähler mobilisiert werden. Wulff Schönbohm, der zu Zeiten von Helmut Kohl zu den Unions-Vordenkern gehörte und Bruder von Jörg Schönbohm ist, schimpfte schon 2007 über die "scheinliberale Politische-Mitte-Soße", die die Union in Merkels Amtszeit angerührt habe. "Angela Merkel sollte das konservative Profil stärken und sich dafür Gefolgsleute suchen."

Die Konservativen verweisen als Beleg für ihre These auf die österreichische Nationalratswahl von 2006. Bundeskanzler Wolfgang Schüssel von der konservativen ÖVP war populär. Sein Erfolg galt als sicher. Doch er verlor, weil viele Anhänger der Volkspartei am Wahltag zu Hause blieben. Besonders in der CSU haben sich die Ereignisse im Nachbarland ins Gedächtnis gebrannt, aber nicht nur bei ihr.

Revolution von oben

Nun würde Merkel nie sagen, ihr seien die Unions-Stammwähler egal. Vor allem als Kanzlerin hat sie aber eher versucht, die Partei zu modernisieren. Gemeinsam mit Ministerin Ursula von der Leyen verpasste sie der Partei ein neues Familienprofil, bis hin zu Vätermonaten beim Elterngeld. Das kam für die CDU einer Revolution von oben gleich, ohne dass dies offen ausgesprochen wurde.

Die Vorfrau der CDU ist Analytikerin. Und so geschahen diese Kurskorrekturen, auch in der Bildungspolitik, nicht ohne empirische Grundlage. Politikwissenschaftler und Meinungsforscher sagen seit Jahren: Die Wählerschaft der Union erodiert. Ihre Zukunft als Volkspartei stehe genauso wie die der SPD auf dem Spiel. Der Göttinger Parteienforscher Franz Walter sagt, dass das Bürgertum, das einst Stütze der CDU gewesen ist, jetzt vornehmlich links wählt. "In keiner anderen Qualifikationsgruppe steht die Union so schlecht da wie bei den sogenannten Hochgebildeten", schreibt er.

Außerdem wird der Anteil der Stammwähler immer kleiner, was eigentlich für Merkels Kurs spricht. "Die klassischen Unionswähler waren Katholiken mit enger Bindung zur Kirche", merkt Andrea Wolf von der Forschungsgruppe Wahlen an. Nur: Auch diese Gruppe schrumpfe wie viele andere, weil die Gesellschaft immer individueller werde. Allein über die Mobilisierung der Stammwählerschaft könne keine Wahl gewonnen werden, urteilt Wolf, fügt aber hinzu: "Aber auch nicht ohne sie." Fazit: Auf den richtigen Spagat kommt es an.

Ulrich Scharlack[dpa]

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