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Kroatien: Brüssel statt Balkan

Die Kroaten stimmen am Sonntag über eine EU-Mitgliedschaft ab. Trotz massiver Werbung der Regierung könnte es knapp werden.

Zagreb - Von Europa-Euphorie ist bei den Kroaten längst nicht mehr viel zu spüren. Wenn sie an diesem Sonntag über die Mitgliedschaft zur EU abstimmen, wird aber dennoch mit einer knappen Mehrheit für den Beitritt gerechnet. Beobachter schätzen, gestützt auf die jüngsten Meinungsumfragen, dass zwischen 50 und 60 Prozent der Abstimmungsberechtigten für die EU-Mitgliedschaft votieren werden. Die Volksabstimmung ist unabhängig von der Wahlbeteiligung gültig, für das Ergebnis reicht die einfache Mehrheit.

Politiker aller Parteien erklären, dass Kroatien mit der Zugehörigkeit zur Europäischen Union endgültig die Balkan-Vergangenheit hinter sich lassen und zurück zu seinen historischen und kulturellen Wurzeln in Europa finden werde. Präsident Ivo Josipovic sagte, ein Nein zu Brüssel sei „unverantwortlich“. Außenministerin Vesna Pusic betonte, ein Ja sei für Kroatiens „wirtschaftliches Überleben“ unabdingbar. In den vergangenen zwei Wochen wurde die kroatische Bevölkerung mit einer PR-Kampagne zugunsten eines Beitritts zur EU förmlich bombardiert. Auch die mächtige katholische Kirche machte sich zur Fürsprecherin der EU und versicherte, die Kroaten hätten bei einem Beitritt keinen Verlust der Identität zu befürchten. Die wenigen, überwiegend ultranationalistischen Parteien, die zu einer Stimmabgabe mit Nein aufrufen, warnen dagegen vor Kroatiens „Souveränitätsverlust“.

Kroatien hatte sich 1991 zusammen mit Slowenien von Belgrad losgesagt. Die Unabhängigkeitserklärungen bedeuteten den Beginn des Zerfalls von Jugoslawien, der bis 1995 eine Reihe blutiger Kriege nach sich zog. Erst ab dem Jahr 2000, nach dem Tod des autoritär-nationalistischen Staatschefs Franjo Tudjman, zeichnete sich eine Annäherung Kroatiens an die EU ab.

2005 begannen die Beitrittsverhandlungen, die vor allem wegen eines Grenzkonflikts mit Slowenien immer wieder ins Stocken gerieten. Im vergangenen Dezember unterzeichnete Kroatien schließlich den Beitrittsvertrag. Wenn der Beitritt in der Volksabstimmung und von den 27 EU-Staaten gebilligt wird, soll Kroatien am 1. Juli 2013 offiziell das 28. EU-Mitglied werden. Inzwischen wird die EU-Kommission Berichte über den Stand der Maßnahmen im Justizwesen, beim Kampf gegen Korruption und organisierte Kriminalität sowie zur Förderung der Wettbewerbsfähigkeit der kroatischen Wirtschaft vorlegen. Sollte Zagreb in seinem Reformeifer nachlassen, kann die EU Strafmaßnahmen verhängen, etwa ein Einfrieren von Geldern aus den Strukturfonds.

Auch die Krise in der Euro-Zone wirkt sich auf das Wahlverhalten der Kroaten aus. „Die derzeitigen Schwierigkeiten tragen dazu bei, dass die Erwartungen an die EU niedriger sind“, sagt Radovan Vukadinovic, Experte für internationale Beziehungen. Viele Kroaten geben sich pragmatisch. „Europa ist nicht das Land, wo Milch und Honig fließen, vor allem jetzt nicht. Aber wir sind so klein, dass wir uns nicht abkoppeln können“, sagt zum Beispiel Gorjana Sikic. „Außerdem, noch schlimmer kann es nicht werden“, fügt die Ingenieurin unter Anspielung auf die Krise der kroatischen Wirtschaft hinzu.

Das 4,2 Millionen Einwohner zählende Kroatien macht seit drei Jahren eine Rezession durch. Die Nationalbank gibt das Wirtschaftswachstum für 2011 mit bescheidenen 0,4 Prozent an und sagt für 2012 einen Rückgang des Bruttoinlandsprodukts um 0,2 Prozent voraus. Die Arbeitslosenrate liegt amtlichen Angaben zufolge bei fast 18 Prozent. AFP

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