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Politik: "Kulisse der Macht": Staatstheater an der Spree

Mit dem Einzug von Regierungschef Gerhard Schröder in sein neu errichtetes Kanzleramt am 2. Mai ging mehr zu Ende als die zehnjährige Übergangszeit seit dem Hauptstadtbeschluss des Bundestages vom Juni 1991.

Mit dem Einzug von Regierungschef Gerhard Schröder in sein neu errichtetes Kanzleramt am 2. Mai ging mehr zu Ende als die zehnjährige Übergangszeit seit dem Hauptstadtbeschluss des Bundestages vom Juni 1991. Zu Ende ging die ganze westdeutsche Übergangszeit, die in Bonn Gestalt angenommen hatte. Erstmals in der Geschichte der Bundesrepublik galt es, Bauten für Parlament und Regierung zu finden, die für unbegrenzte Dauer genutzt werden sollten, nicht für das unbestimmte Interim der geteilten deutschen Staatlichkeit.

Neben dem Reichstag als Sitz des Parlaments nimmt das Bundeskanzleramt die Rolle als symbolisches Bauwerk der "Berliner Republik" ein. Den Beteiligten am Entscheidungs- und Entwurfsprozess war das von Anfang an bewusst. Hier sollte kein bloßer Funktionsbau entstehen, sondern eine gebaute Aussage über das wiedervereinte Deutschland. "Man kann die Suche nach einem spezifischen Ausdruck des Kanzleramtes, nach der Botschaft des Bauwerks, geradezu als die Konstante der Formfindung bezeichnen, als deren inneren Antrieb," charakterisiert Heinrich Wefing den 1991 begonnenen Prozess. Der Architekturkritiker in der Berliner Redaktion der "Frankfurter Allgemeinen Zeitung" hat wie kaum ein zweiter die Planung und den Bau der Hauptstadt Berlin publizistisch begleitet. Als Jurist mit einer Arbeit über Parlamentsarchitektur promoviert, versteht er die Aussage von Architektur im Kontext ihrer politischen Entstehung zu deuten. Sein soeben veröffentlichtes Buch über das Berliner Kanzleramt trägt den Titel "Kulisse der Macht" denn auch nicht als Effekthascherei, sondern bezeichnet die Absicht des Autors, in der Stein gewordenen Sprache der Architektur die flüchtige Sprache der handelnden Personen aufzuspüren.

Nicht so sehr um Stilkritik also geht es, als um ein Kapitel bundesdeutscher Zeitgeschichte, in dem das Ringen um symbolische Formen mehr Platz eingenommen hat als jemals zuvor. Das ergab sich nicht von alleine. Wefing weist auf den Urheber hin: "Eine überragende Rolle bei der Planung des Berliner Kanzleramtes hat ganz ohne Zweifel Helmut Kohl gespielt. Intensiver als jeder Kanzler vor ihm kümmerte er sich um Fragen von Symbolik und Architektur." Um diesen Befund zu erhärten, lässt der Autor die vorangegangenen Bonner Bemühungen um Bauliches Revue passieren.

An der Spree hingegen galt es Architektur zu schaffen, die "als Symbol der Berliner Republik verstanden und gedeutet werden" würde. Aus der intimen Kenntnis des Zeitzeugen, aber gründlich untermauert durch Gespräche mit den Beteiligten, allen voran Ex-Kanzler Kohl, zeichnet Wefing die heute beinahe schon wieder vergessene Geschichte der Wettbewerbe und Jury-Entscheidungen nach, die in einer bemerkenswerten Parallelaktion zum einen die städtebauliche Figur des "Bandes des Bundes", zum anderen die Gestalt des Kanzler-Dienstsitzes hervorbrachten. Die Entscheidung, die in beiden Fällen zugunsten von Axel Schultes fiel, war mitnichten abzusehen. Wefing macht die zunehmende Dramatik der Entscheidungsvorgänge plastisch. Zunächst war in bekannt bundesdeutscher Rhetorik "Bescheidenheit" als Maßstab gesetzt, dann aber von Kohl um den Schlüsselbegriff der "Würde" ergänzt worden. Als sich beim Bauwettbewerb zwei Entwürfe durchsetzten, das Mehrheitsverfahren sich mithin zu einer klaren Entscheidung als unfähig erwies, schlug Kohls Stunde. Er war es, der Schultes auf den Schild hob, zur Überraschung nicht weniger Beobachter, die in dem vielfach als "Nazi-Klassizismus" geschmähten Gegenentwurf des jungen Ost-Berliner Büros Krüger, Schuberth, Vandreike den heimlichen Favoriten des Pfälzers zu erkennen glaubten.

Den Kontakt von Kanzler und Architekt schildert Wefing als Begegnung zweier Einzelgänger, und noch aus der Rückschau wird es ihm "immer ein Rätsel bleiben, wie es Schultes gelingen konnte, ausgerechnet dem konservativen Kanzler der deutschen Einheit" seinen eigenwilligen Entwurf nahe zu bringen: "Vielleicht hat Kohl nie wirklich verstanden, was Schultes plante." Und an anderer Stelle: "Der Kubus für den Kanzler ist das merkwürdige Denkmal des Zusammentreffens zweier Männer, die sich stets fremd blieben, aber gemeinsam nach Großem strebten."

Das Verwundern über die Sympathie des Kanzlers geht bei Wefing in die Verwunderung über das Bauwerk selbst über. Gegen Schluss seines stringent gegliederten Buches lässt der Autor seiner Formulierungslust freien Lauf. Schultes habe "ein wunderbares Haus für den falschen Zweck gebaut", er habe "das politische Alltagsgeschäft mit einer Aura des Außergewöhnlichen umhüllt, mit einer Glorie des Großartigen geschmückt, die dem Amte weder zusteht noch gut tut." Darüber wird später zu urteilen sein - nach Jahren des Umgangs mit einem Bauwerk, das Wefing als "Tempeltheater für Staatsathleten" weit heftiger kritisiert, als es seine einfühlsame Chronik zuvor erwarten lässt.

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