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Update

Nach Anschlägen in Norwegen: Kurzzeitige Festnahmen in Oslo - Kein Sprengstoff gefunden

Die Festgenommenen sind kurz nach dem Einsatz der Spezialkräfte wieder freigelassen worden. Die Polizei konnte ihnen keine Verbindung zu den Anschlägen in Norwegen nachweisen. Die Zahl der Todesopfer stieg inzwischen auf 93.

Bei einem Polizeieinsatz im Zusammenhang mit den Anschlägen in Norwegen haben die Ermittler kurzzeitig mehrere Menschen festgenommen. „Es wurde kein Sprengstoff an dem Ort gefunden und die Festgenommenen wurden wieder freigelassen“, erklärte die Polizei in Oslo am Sonntag. „Die Polizei verfügt über nichts, dass diese Leute mit Terrorakten in Verbindung bringen könnte.“ Anwohner hatten zuvor erklärt, die Polizei habe sechs Verdächtige abgeführt.

Die Polizei hatte seit dem Vormittag ein Grundstück im Osten der Hauptstadt durchsucht. Laut Anwohnern wurden die zunächst Verdächtigten dabei „in Unterwäsche“ abgeführt, wie ein AFP-Journalist berichtete. Laut dem britischen Sender Sky News untersuchte die Polizei zwei Container, in denen Chemikalien vermutet wurden. Dies wurde von offizieller Seite nicht bestätigt. An dem Einsatz waren zahlreiche Polizisten beteiligt, wie der AFP-Journalist berichtete. Das Viertel wurde aber nicht evakuiert. Rund um den Einsatzort versammelten sich viele Schaulustige.

Wie weiter verlautete war die Anti-Terror-Einheit Delta an dem Einsatz beteiligt. Wie die Nachrichtenagentur NTB und weitere Medien am Sonntagmittag meldeten, riegelten starke Einsatzkräfte in schusssicheren Westen und mit Helmen ein Haus im östlichen Oslo hermetisch ab. Die Polizei hatte bereits am Vortag angekündigt, dass es noch weitere Maßnahmen geben könnte. Ob neben dem Hauptverdächtigen weitere Personen festgenommen wurden, wollte die Polizei nicht sagen.

Die Polizeiaktion wurde in Gang gesetzt, während sich im Osloer Dom Überlebende der Anschläge, Angehörige von Opfern und die Königsfamilie sowie die norwegische Regierung zu einem Trauergottesdienst versammelten.

Die Zahl der Toten bei den Anschlägen in Norwegen stieg am Sonntag auf mindestens 93. Wie der TV-Sender NRK berichtete, starb ein Schwerverletzter vom Massaker auf der Fjordinsel Utöya am Sonntag im Osloer Ullevål-Krankenhaus.

Polizeichef Sponheim bestätigte inzwischen, dass die Sicherheitskräfte erst mit Verzögerung am Tatort auf der Insel eingetroffen seien, die 500 Meter vom Festland entfernt in einem See liegt. “Die Reaktion auf den Alarm war schnell. Es gab Probleme mit dem Transport zur Insel.“

Der Attentäter Anders Behring Breivik plante die Anschläge in Oslo und auf Utöya, die er als „Märtyrertaten“ bezeichnete, dem Dokument zufolge mindestens seit Herbst 2009. Das Dokument wurde teilweise als Tagebuch geführt, teils enthält es Anleitungen zum Bombenbau oder beschreibt die Islamfeindlichkeit des Autors. Der Text ist mit einem Pseudonym unterschrieben, dessen Herkunft der Autor aus seinem eigenen Namen ableitet.

Kurz vor der Bombenexplosion im Osloer Regierungsviertel und dem Massaker in einem sozialdemokratischen Jugendferienlager hatte er in das 1500 Seiten starken „Manifest“ Terroraktionen zur „Rettung Europas vor dem Kulturmarxismus und der Islamisierung“ angekündigt, berichtete der TV-Sender NRK in Oslo. Breivik hat seine Anschläge bei Verhören als „grausam, aber notwendig“ bezeichnet.

Der Verteidiger des 32-Jährigen, Geir Lippestad, sagte am Sonntag im Sender TV2, die Äußerungen des Attentäters in dem mehrstündigen Polizeiverhör seien zum Teil unverständlich gewesen. „Es ist ausgesprochen schwer für mich, eine vernünftige Zusammenfassung von dem zu geben, was er in dem Verhör gesagt hat.“ Der Attentäter hatte am Samstag die Täterschaft bei beiden Anschlägen zugegeben. Er will sie allein ausgeführt haben. Am Freitag hatte er im Osloer Zentrum erst eine Autobombe explodieren lassen, die mindestens sieben Menschen tötete. Danach fuhr er zum 40 Kilometer entfernten Tyrifjord, setzte als Polizist verkleidet auf die kleine Insel Utöya über und schoss mit zwei legal erworbenen Waffen wahllos auf Menschen in einem Ferienlager der sozialdemokratischen Jugendorganisation AUF.

Das Massaker dauerte anderthalb Stunden, ehe Breivik sich freiwillig Antiterrorspezialisten der Polizei ergab. Sein Anwalt Lippestad meinte zu den Verhören in TV2: „„Man hat ihm das unglaubliche Ausmaß des Schadens und die Zahl der Toten erklärt. Seine Reaktion war, dass er die Ausführung der Tötungen als grausam, aber in seinem Kopf als notwendig erachtete.“ Aussagen des Norwegers zu seinem Motiv für die beiden furchtbaren Anschläge wollte der Anwalt nicht öffentlich wiedergeben, ehe er sie nicht noch einmal genau durchdacht habe. Wenige Stunden vor dem ersten Anschlag hatte der Attentäter an mehrere Adressaten als Mail sein „Manifest“ mit dem Titel „2083. A European Declaration of Indepence“ („2083. Eine europäische Unabhängigkeitserklärung“) verschickt. Darin schrieb er nach Angaben von NRK unter anderem, er wolle Europa „vor Kulturmarxismus und Islamisierung retten“.

Dem norwegischen Geheimdienst PST soll der nach dem Massaker auf der Insel Utöya festgenommene Breivik bis zu den Anschlägen völlig unbekannt gewesen sein. Das berichteten die Zeitungen „VG“ und „Dagbladet“ unter Berufung auf mehrere Quellen. Der 32-Jährige hatte unter anderem auf einem Hof in der Nähe von Oslo sechs Tonnen Kunstdünger zur Herstellung von Sprengstoff gelagert.

Auf Utöya wurden noch vier bis fünf Menschen vermisst. Zur Suche nach den Vermissten setzte die Polizei in der Nacht zu Sonntag ein Mini-U-Boot ein, zudem beteiligten sich Taucher des Roten Kreuzes mit Unterwasserkameras an der Suchaktion. Einige Teilnehmer des Jugendcamps waren vor dem Schützen ins Wasser geflohen.

Ministerpräsident Jens Stoltenberg sprach am Samstag von einer „nationalen Tragödie“. Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) nannte die Tat „menschenverachtend“. Die EU-Außenbeauftragte Catherine Ashton erklärte, die Nachricht habe „großes Grauen“ bei ihr ausgelöst.

Der niederländische Rechtspopulist Geert Wilders verurteilte die Anschläge am Samstag und nannte den Täter einen „gewalttätigen und kranken Psychopathen“. Seine Freiheitspartei PVV verabscheue alles, was er darstelle und getan habe. Niederländischen Medien zufolge soll B. B. besondere Sympathien für die Ideale der PVV gezeigt haben.

Deutsche wurden bei den Anschlägen offenbar nicht getötet. Bundesaußenminister Guido Westerwelle (FDP) sagte am Samstag, er könne aber nicht ausschließen, dass sich diese Angabe noch ändere. (AFP, dpa)

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