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Lagebericht zur Organisierten Kriminalität: Verbrechen ohne Grenzen

Banden aus vielen Ländern operieren in Deutschland. Darunter auch solche aus der ehemaligen Sowjetunion. Wirkt sich die Ukraine-Krise auf die Bekämpfung aus?

Von Matthias Meisner

Die Betonung liegt auf Dunkelziffer. Seit 1990 liefert das Bundeskriminalamt (BKA) jährlich präzise Daten zur Entwicklung der Organisierten Kriminalität (OK) – und hält dabei fest, dass es nur das „Hellfeld“, also die polizeilich bekannt gewordene Kriminalität beschreiben kann. Aus den statistischen Grunddaten ließen sich keine validen Einschätzungen zu Art und Umfang eines möglichen Dunkelfelds ableiten, betonen die Behörden.

Wie groß ist die Bedrohung aktuell?

Drastisch genug ist die Lage aus Sicht von Bundesinnenminister Thomas de Maizière und BKA-Chef Jörg Ziercke auch so. Die Bedrohung durch die OK in Deutschland sei „weiterhin hoch“, erklärten beide bei der Vorstellung des „Bundeslagebildes Organisierte Kriminalität“ für 2013. Dies dürfe angesichts der Konflikte etwa in Syrien und Irak nicht vergessen werden „und wird auch nicht vergessen“, sagte de Maizière. Er sprach von einem „weltweit nicht zu unterschätzenden destabilisierenden Faktor“.

Im vergangenen Jahr wurden 580 Ermittlungsverfahren in Deutschland geführt, zwölf mehr als im Jahr zuvor. Um fast 15 Prozent zugenommen hat die Zahl der Tatverdächtigen, die vom BKA jetzt mit 9155 angegeben wird. Regionale Schwerpunkte bei der Verteilung der OK-Verfahren liegen in den großen Flächenstaaten Nordrhein-Westfalen, Bayern und Niedersachsen, aber auch in Berlin. Vergleichsweise „ruhig“ ist es, was diesen Kriminalitätszweig betrifft, in den Bundesländern Mecklenburg-Vorpommern, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Was ist Organisierte Kriminalität?

Die Ermittler sprechen dann von Organisierter Kriminalität, wenn es sich um eine „von Gewinn- oder Machtstreben“ bestimmte „planmäßige Begehung von Straftaten“ handelt. Zusätzlich muss mindestens eines von drei speziellen Merkmalen vorhanden sein: gewerbliche oder geschäftsmäßige Strukturen, die Anwendung von Gewalt oder die Einflussnahme auf Politik, Medien, öffentliche Verwaltung, Justiz oder Wirtschaft. Damit können bestimmte Fälle klassischer Kriminalität wie beispielsweise Wohnungseinbrüche, Kraftfahrzeugdiebstähle oder Betrügereien am Telefon zu Organisierter Kriminalität werden, wenn international agierende Banden zusammenwirken.

Schwerpunktbereich der OK in Deutschland ist der Rauschgifthandel mit einem Anteil von mehr als einem Drittel der registrierten Taten, gefolgt von Eigentumskriminalität (16 Prozent), Wirtschaftskriminalität (13 Prozent) sowie von Steuer- und Zolldelikten (zehn Prozent). Aufsehenerregende Felder wie zum Beispiel die Schleuserkriminalität oder Verbrechen im Rotlichtmilieu nehmen einen deutlich geringeren Anteil im einstelligen Bereich ein – was nicht heißt, dass sie deshalb geringgeschätzt werden können. Cybercrime, Computerkriminalität also, macht nur ein Prozent der registrierten OK–Straftaten aus. Es geht dabei um verschiedene Formen des Ausspähens von Daten. De Maizière betonte, es sei ein Irrglaube, dass das Internet mit der realen Welt nichts zu tun habe. „Leider ist die Welt im Internet ziemlich real.“

Wer sind die Kriminellen?

Der Anteil der deutschen Staatsangehörigen unter den Tatverdächtigen lag 2013 bei gut 40 Prozent, damit etwas höher als im Vorjahr. Drei Gruppen hebt das BKA im „Bundeslagebild“ besonders heraus: Demnach steht beinahe jedes achte OK-Verfahren im Zusammenhang mit Motorradrockern wie den Hells Angels, den Bandidos oder Gremium. Bei den Ermittlungen gegen die italienische Mafia gibt es einen Schwerpunkt mit der Gruppe 'Ndrangheta, die ähnlich wie im Vorjahr mit Kokain handelte und die Droge schmuggelte, Autos verschob sowie immer wieder gegen das Waffengesetz verstieß.

Dritte Haupt-Tätergruppe sind russischsprachige Kriminelle und Banden, die als „Russisch-Eurasische Organisierte Kriminalität“ erfasst werden. Hier werden Täter aus allen ehemaligen Sowjetrepubliken zusammengefasst. Einen besonderen Schwerpunkt bilden Russland, Litauen und Georgien. Was die Organisierte Kriminalität angeht, erscheint die UdSSR noch grenzenlos – wenn beispielsweise Luxusautos über das Baltikum bis nach Tadschikistan verschoben werden. Der Anteil von Tatverdächtigen des kleinen Baltenstaates Litauen ist mit mehr als zehn Prozent überproportional hoch. Auf den gleichen Anteil kommen unter allen Tatverdächtigen noch die Türken. Unter den europäischen Ländern macht den Ermittlern daneben die OK-Entwicklung in Albanien, Italien, Serbien und den Niederlanden besondere Sorgen.

Wie groß ist der Schaden?

Auch hier gilt: keine Kriminalitätsstatistik ohne Dunkelziffer. Für 2013 meldet das BKA eine Schadenssumme von rund 720 Millionen Euro, gut ein Drittel weniger als im Vorjahr. Die kriminellen Erträge aber lagen mit 638 Millionen Euro etwa zehn Prozent höher als im Jahr 2012. Knapp 30 Prozent der Vermögenswerte konnten sichergestellt werden. In etwa einem Drittel aller Ermittlungsverfahren war das durch Organisierte Kriminalität erbeutete Geld bereits weg – vor allem das von Rauschgifthändlern und Rauschgiftschmugglern.

Wie wird die OK bekämpft?

Bei der Bekämpfung sind die deutschen Behörden auf eine internationale Zusammenarbeit angewiesen – und die läuft durchaus sehr unterschiedlich. De Maizière sagte, speziell bei Albanien und Serbien, die mittelfristig eine EU-Mitgliedschaft anstreben, müsse Deutschland auf „Fortschritten“ bei der Kriminalitätsbekämpfung bestehen. Probleme gibt es auch bei den EU-Länder Rumänien und Bulgarien. Der Innenminister betonte, den Regierungen beider Länder biete Deutschland eine grenzübergreifende Zusammenarbeit bei der Bekämpfung der OK an, die Umsetzung dieser Kooperation allerdings verlaufe „manchmal subjektiv und objektiv schwer“.

Noch komplizierter ist momentan die Zusammenarbeit mit Russland – bedingt durch das deutlich abgekühlte Verhältnis zwischen Berlin und Moskau. Es gebe zurzeit eine „deutliche Zurückhaltung auf russischer Seite“, was gemeinsame Vorhaben der Kriminalitätsbekämpfung angeht. Bei konkreten Anfragen „dauert es relativ lange, bis wir Antworten bekommen“. Ziercke weiter: „Insgesamt merkt man schon, dass die Stimmung nicht so ist, wie sie vorher war.“

Lob zollte de Maizière dem Nachbarn Polen. Die Zusammenarbeit mit der polnischen Seite bei der Bekämpfung der Organisierten Kriminalität sei „außerordentlich gut“, erklärte der Innenminister. Die Fahndungserfolge der polnischen Behörden bei der Verfolgung von Eigentumskriminalität wie Kfz-Diebstählen seien „überragend“. Bei der im Grenzgebiet von Brandenburg und Sachsen zu Polen beobachteten Grenzkriminalität – nicht immer mit der OK identisch – nahm er die Polen in Schutz. Die Täter seien oft gar nicht aus dem Nachbarland. Diebstähle von Autos, landwirtschaftlichen Fahrzeugen und auch Buntmetall seien zwar recht häufig. Insgesamt aber sei die Kriminalitätsrate in diesen Regionen nur etwa halb so hoch wie in westdeutschen Ballungsgebieten.

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