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Politik: Land unbegrenzter Übertreibungen - Wie Al Gore den Kampf um den kubanischen Flüchtlingsjungen benutzt (Kommentar)

Auftritt Papa. Der Vater von Elian Gonzalez darf also in die USA einreisen, um seinen Sohn zu sich zu nehmen - vorübergehend, bis im Mai das Berufungsurteil im Asylverfahren ergeht.

Auftritt Papa. Der Vater von Elian Gonzalez darf also in die USA einreisen, um seinen Sohn zu sich zu nehmen - vorübergehend, bis im Mai das Berufungsurteil im Asylverfahren ergeht. Ob der Großonkel den Sechsjährigen herausrückt, ob Juan Miguel Gonzalez in Miami von wütenden Castro-Hassern gesteinigt wird, ob diese mit Menschenketten blockieren, worauf auch immer sich die US-Einwanderungsbehörde und die Exil-Familie einigen - alles ist offen. Die Emotionen sind jedenfalls ausreichend angeheizt.

Auch juristisch wird das unappetitliche Gezerre um das aus dem Atlantik gerettete Kind stündlich komplizierter. Schließlich wurde der - gescheiterte - Asylantrag von eben jenem Großonkel Lazaro gestellt, der laut US-Behörden überhaupt nicht für den Jungen sprechen kann. Weiteres Hickhack ist also garantiert. Und dennoch ist es Zeit für erste Lehren.

Der Preis für den perfidesten Opportunismus geht an Al Gore. Der Vizepräsident hat sich auf die Seite jener geschlagen, die den Jungen per Sondergesetz zum US-Bürger machen wollen. Dass dies ein verheerender Präzedenzfall wäre, weil die Gültigkeit des elterlichen Sorgerechts zu einer Frage der Staatsangehörigkeit würde und jederzeit überall Kinder dann ihren Eltern weggenommen werden dürften, sobald sie damit nur von Übelregimen befreit werden, weiß niemand besser als die Clinton-Regierung. Gore weiß es auch. Seine in Florida stationierten Umfrage-Athleten sagen ihm indes, dass die US-Mehrheit, die für Elians Rückkehr nach Kuba votiert, Gore wegen eines Sondergesetzes nicht die Stimme verweigern würde - dass umgekehrt unter den energischen Exilkubanern, die nur "Lex Elian"-Demokraten für wählbar halten, im November die Erinnerung bis zur Wahlurne reicht. Gore hat es auf die Präsidentschaft abgesehen, nicht auf Elians Wohl. Widerwärtig ist, dass der Vize wider besseren Wissens Unsinniges verlangt. George W. Bush tut dasselbe, aber wenigstens aus Dummheit.

Dass die Exilkubaner einen Jungen, dessen Mutter die Flucht mit dem Leben bezahlte, nicht an Castro ausliefern und ihn im Triumphzug durch Havanna fahren sehen wollen, dem kann man durchaus mit Verständnis begegnen. Dass dieser Hass aufs alte Heimatland religiös untermauert wird, indem bizarre Marienerscheinungen in Elians Schlafzimmer-Spiegel und Moses-Legenden vom im Meer treibenden Kind, das von Delfinen gerettet wird, herhalten müssen, kann man zumindest noch tolerieren. Der Widerspruch - und Amerikas Staatsmacht - muss ansetzen, wo mit solchen Argumentationen der Rechtsstaat ausgehebelt wird.

Dies ist in drastischer Weise vorbereitet worden. Unverhohlen haben die Exilkubaner mit der Geiselnahme des Jungen gedroht und dafür auch noch die volle Rückendeckung der lokalen Politikgrößen erhalten. Landespolizei gegen Bundespolizei: Manchen "States Rights"-Extremisten dient der Kampf um Elian als Chance für den Showdown mit dem herzlosen Monster namens Bundesregierung. Amerika ist auch das Land der unbegrenzten Übertreibung.

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