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Showdown in Brüssel. Die „kleine Runde“ beim EU-Gipfel mit Alexis Tsipras und Angela Merkel.

© Emanuel Dunand/dpa

Lange Nacht in Brüssel: Wie Angela Merkel mit Alexis Tsipras Tacheles redete

Es war eine lange Nacht: Wie die kleine Runde beim EU-Gipfel in Brüssel es schaffte, mit Griechenland ein detailliertes Vorgehen zu vereinbaren. Es ist vielleicht die letzte Chance für Athen, in der Eurozone verbleiben zu können.

Hoffnung keimt auf. „Sie reden bereits 90 Minuten“, sagt eine EU-Diplomatin, als dieser Freitag keine halbe Stunde alt ist. „Das ist ein gutes Zeichen, jede Minute mehr ist positiv.“ Am Ende werden es noch deutlich mehr. Dreieinhalb Stunden dauert das Krisentreffen zu Griechenland. Kanzlerin Angela Merkel betritt um 2.25 Uhr den deutschen Pressesaal im Brüsseler Ratsgebäude – und verkündet Bewegung. Das zuvor abgegebene Versprechen von EU-Kommissionschef Jean-Claude Juncker, der kleine Kreis werde „Klartext“ reden mit Alexis Tsipras, wird jedenfalls gehalten.

Schon der Auftakt hat es in sich, wie François Hollande später berichten wird. Man habe Tsipras „die Gelegenheit gegeben zu erklären, wie dringend er eine Lösung innerhalb der Euro-Zone haben will“. Im Umkehrschluss ist klar: Wenn Athen nicht bereit ist, die zugesagten Reformen zu liefern, sollte das Land die Währungsunion verlassen. Als Tsipras erklärt, dies nicht zu wollen, kann das Gespräch weitergehen.

Es ist Merkels erster längerer Austausch mit Tsipras überhaupt. Das, was es zuletzt an verbalen Verletzungen und gemeinen Gesten gab, hat der stets nüchternen Kanzlerin zufolge im Gespräch keine Rolle gespielt. „Es war auf die Sache ausgerichtet.“ Und: „Wir haben uns mit der Zukunft befasst.“

Es muss ziemlich hart zur Sache gegangen sein

Dass das bestenfalls die halbe Wahrheit ist, wird schon kurz darauf klar. Wenn seine Kanzlerin nichts über den Gesprächsverlauf sagen wolle, „muss es „ziemlich hart zur Sache gegangen sein“, sagt einer aus ihrem Tross. „Harsche, ehrliche und offene Worte“ seien gefallen, berichtet eine andere Diplomatin: „Die Chefs haben auch darüber gesprochen, dass wir mit gegenseitigen Anschuldigungen nicht weiterkommen.“ Juncker etwa soll Tsipras beschieden haben, dass es „inakzeptabel“ sei, wie seine Leute in Athen – die EU-Kommission prüft zusammen mit der EZB und dem IWF die brenzlige Kassenlage – „verbal massakriert“ würden. Der Arbeitsprozess wird unmissverständlich festgeschrieben. Alles, was politisch verhandelt wird, findet auf Athens Wunsch in Brüssel statt – es soll sich nur ja kein EU-Beamter mehr in einem griechischen Ministerium aufspielen dürfen. Die rein zahlenorientierte „fact finding mission“ arbeitet in Athen.

Es geht um die vielleicht allerletzte Chance für Athen, doch noch der Zahlungsunfähigkeit zu entgehen – aber eben im Rahmen dessen, worauf sich die Finanzminister schon vor einem Monat geeinigt hatten: Geld gegen Reformen. Dahinter will Merkel nicht zurück. Die Runde ist sich Diplomaten zufolge daher einig, dass in Sachen Reformen „jetzt schnell“ etwas passieren muss. „In den nächsten Tagen“ soll die Athener Regierung daher eine „vollständige Liste spezifischer Reformen vorlegen“, heißt es in einer Erklärung. Von der letzten Milliardenrate des zweiten Hilfsprogramms oder wenigstens einem Teil davon ist in der Erklärung offiziell keine Rede. Impliziert ist die Hilfe aber sehr wohl. Denn die akute Finanznot erfordert einen neuen Zeitplan. Bis Ende April soll die Überprüfung des Hilfsprogramms abgeschlossen sein, was die Voraussetzung für eine weitere Überweisung bleibt. Als „zu spät“ hat Tsipras nach Angaben zweier Beobachter der nächtlichen Runde diesen Auszahlungstermin bezeichnet – sein Land sei vorher pleite.

Griechenland darf eigene Reformen vorschlagen, damit das Land seinen Willen bekommt

Weil EZB-Chef Draghi Tsipras’ Bitte um ein höheres Limit für eine Finanzierung über die eigene Notenbank kühl ablehnt, wird besprochen, wie das schon vereinbarte Prozedere verkürzt werden kann. Die Runde redet über neue Gesetze, „die Tsipras sofort umsetzen kann, ihn aber keinen hohen politischen Preis kosten“, wie ein Insider verrät. „Wenn vier, fünf oder ein paar mehr konkrete Projekte das Parlament passieren“, argumentieren Diplomaten später, „und diese noch ungefähr damit zu tun haben, was man ursprünglich einmal wollte, könnte das reichen um die Überprüfung abzuschließen oder zumindest über eine Teilauszahlung nachzudenken.“ Und so kann nach diesem ungewöhnlichen Treffen jeder seine Interpretation des Beschlossenen verkünden, ohne dabei wirklich falschzuliegen.

Kanzlerin Merkel kann auf einem Abschluss des Programms beharren. Gleichzeitig gesteht sie zu, dass die Griechen wie einst die Iren die Möglichkeit haben, Punkte aus der bisherigen Vereinbarung „durch andere Reformen zu ersetzen“ – vorausgesetzt, es liegt eine positive Bewertung der Institutionen vor. Wenn man damit, so die Kanzlerin, „schneller fertig wird“, kann auch schneller Geld fließen.

Das ermöglicht es Tsipras, das „Diktat“ abzuschütteln: „Die EU-Partner erwarten von uns, dass wir unsere eigenen Wirtschaftsreformen präsentieren.“ Griechenland wäre dann wieder einmal gerettet – wenn den Abmachungen denn Taten folgen. „Wir vertrauen darauf“, sagt Angela Merkel noch in der Nacht.

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